Vera Lengsfeld: Die Aus­he­belung des Parlaments

Als ich 1990 Mit­glied des Deut­schen Bun­des­tages wurde, habe ich noch echte Par­la­men­tarier ken­nen­ge­lernt, die bewandert waren in der Geschichte des Par­la­men­ta­rismus. Vor allem wussten sie, dass die Par­la­mente geschaffen wurden, um die Regierung (ursprünglich die Königs­macht) zu kon­trol­lieren. Eine funk­tio­nie­rende Demo­kratie beruht auf Checks and Balances, also die Kon­trolle der Macht, um deren Miss­brauch zu verhindern.

Heute scheint dieses Wissen kaum noch vor­handen zu sein. Auch die freie Presse kommt ihrer Funktion, der Regierung auf die Finger zu schauen, kaum noch nach. Wie weit fort­ge­schritten diese Ent­wicklung schon ist, wurde der Öffent­lichkeit gestern in Thü­ringen vorgeführt.

Die größte Thü­ringer Zeitung, die TA (Thü­ringer All­ge­meine), früher übrigens „Das Volk“, Organ der Bezirks­leitung der SED, erschien auf der Titel­seite mit der Schlag­zeile: „Gen­der­antrag ohne Wirkung“. Unter­zeile: „Ver­fas­sungs­ge­richtshof urteilt schon 2011: Regierung ist nicht an Wil­lens­äu­ßerung gebunden“. Hin­ter­grund ist ein Antrag der CDU, dass in offi­zi­ellen Doku­menten von Landtag, Regierung und nach­fol­genden Behörden nicht gegendert werden darf, der eine Mehrheit im Landtag fand. Seine Not­wen­digkeit ist der Tat­sache geschuldet, dass eine kleine radikale Min­derheit von Sprach­pant­schern und ihren wil­ligen Helfern bereits erfolg­reich gelungen ist, das ver­fas­sungs­mäßige Neu­tra­li­täts­gebot für den Staat und seine Insti­tu­tionen aus­zu­hebeln. Es wird in offi­zi­ellen Doku­menten bis zur Unle­ser­lichkeit gegendert.

Nach einer kurzen Schock­starre begann die über­raschte Linke aus allen Rohren gegen die Thü­ringer CDU und ihren Antrag zu schießen. Sogar die Faschismus-Keule wurde wieder geschwenkt. Zur noch grö­ßeren Über­ra­schung blieb die CDU Thü­ringen standfest und auch der CDU-Vor­sit­zende Merz machte trotz mehr­facher Auf­for­derung keine Anstalten, den Antrag rück­gängig zu machen.

Nun scheint ein Ausweg für die Gender-Radi­kalen gefunden. Der Antrag sei wir­kungslos. Das Par­lament hätte der Regierung keine Wei­sungen zu erteilen.

Dass dies die Aus­he­belung des Par­la­ments bedeutet, scheint den Befür­wortern nicht bewusst, oder egal zu sein. Dabei sollte es nach der DDR-Volks­kammer nie wieder ein Par­lament geben, das lediglich die Regie­rungs­vor­haben abnickt.

Inter­essant dabei ist die Art der Bericht­erstattung. Obwohl die TA sich in ihrem Unter­titel auf ein Ver­fas­sungs­ge­richts­urteil beruft, findet sich kein Hinweis darauf, welchen Gegen­stand es behan­delte und wo man es nach­lesen kann.

Im Text wird lediglich der Linke-Frak­ti­onschef Dittes zitiert, der sich auf ein Urteil von 2011 bezieht, ohne nähere Angaben zu machen.

Qua­li­täts­jour­nalist Fabian Klaus, gibt unge­filtert wieder, was ihm Dittes sonst noch so in den Block dik­tiert: Der CDU wäre es lediglich um ideo­lo­gische Posi­ti­ons­be­stim­mungen gegangen und sie hätte mit der vom Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­teten AfD gemeinsame Sache gemacht.

Dieses Argument ent­behrt nicht einer gewissen Komik. Dittes scheint ent­fallen zu sein, dass der amtie­rende Minis­ter­prä­sident seiner Partei selbst vom Ver­fas­sungs­schutz beob­achtet wurde, was Dittes eigentlich zurück­haltend machen sollte. Außerdem werden nach wie vor extre­mis­tische Split­ter­gruppen, die der SED-Linken nahe­stehen, vom Ver­fas­sungs­schutz beob­achtet, zum Bei­spiel die „Rote Hilfe“, wenn das nicht vom neuen Ver­fas­sungs­schutz­prä­si­denten Hal­denwang gestoppt wurde. Außerdem wurde über Jahr­zehnte hinweg die „Kom­mu­nis­tische Plattform“ beobachtet.

Wenn von der CDU „kon­struktive Oppo­sition“, d.h. die Stützung der Min­der­heits­re­gierung Ramelow gefordert wird, beinhaltet das auch immer die indi­rekte Unter­stützung aller Grup­pie­rungen, die von dieser Regierung finan­ziert werden.

Wir haben sogar eine Bun­des­in­nen­mi­nis­terin, die in einer vom Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­teten Antifa-Zeitung publi­ziert hat.

Dies alles wäre Grund gewesen, Dittes ein paar kri­tische Fragen zu stellen. Fehlanzeige.

Die TA berichtet so regie­rungstreu, wie einst Das Volk“.

Der größere Skandal ist aber, dass es ein Ver­fas­sungs­ge­richts­urteil geben soll, in dem steht, dass der Thü­ringer Landtag in einer Demo­kratie kein Recht habe, der Regierung Wei­sungen zu erteilen. Wenn dem wirklich so sein sollte, könnte es sich um einen demokratie‑, mög­li­cher­weise sogar ver­fas­sungs­feind­lichen Beschluss handeln.

Das muss unbe­dingt geklärt werden.


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de