Nicht rechts oder links, sondern Freiheit oder Eta­tismus sind die Gegensätze!

Wer die Freiheit ein­schränken will, muss es beweisen können!

Ange­sichtes des „Kampfs gegen rechts“ ist es an der Zeit, die poli­tische Posi­tio­nierung für links bezie­hungs­weise rechts zu hin­ter­fragen. Was ist das ent­schei­dende Kri­terium, das eine Position als links kenn­zeichnet – und was ist dem­zu­folge rechts? Ent­scheidend für einen Begriff ist die Über­prüf­barkeit in der Rea­lität, denn „Gedanken ohne Inhalt sind leer. Anschau­ungen ohne Begriffe sind blind“[1]. Eine bloße Eti­ket­tierung mag im poli­ti­schen Geschäft zur Sicherung von Herr­schaft, also zur Dis­kre­di­tierung eines poli­ti­schen Wett­be­werbers aus­rei­chend sein. Der anspruchs­volle Leser hat höhere Ansprüche. Für eine Begriffs­be­stimmung erwartet er eine Expli­kation, also eine ent­fal­tende und prä­zi­sie­rende Erklärung, die gemäß der Ent­wicklung wis­sen­schaft­licher Theorien vor­ge­nommen wird. Der Libe­ra­lismus führt keinen „Kampf gegen rechts“, denn es gab in Deutschland schon einmal einen Poli­tiker, der am Ende seiner poli­ti­schen Laufbahn bedauerte, den „ent­schei­denden Schlag gegen rechts nicht geführt“[2] zu haben. Der Begriff „Kampf“ im innen­po­li­ti­schen Kontext ist spä­testens seit der Fran­zö­si­schen Revo­lution – Revo­lution ist ein Synonym für Bür­ger­krieg – ein Begriff von Sozia­listen. Der Liberale steht ein für Freiheit, denn die braucht es für gesell­schaft­liche Koope­ration. Als erstes sollen jedoch die Begriffe rechts und links hin­ter­fragt werden. Was bedeuten die Begriffe rechts und links in poli­ti­schen Zusammenhängen?

von Burkhard Sievert

Die Begriffe „Links“ und „Rechts“ beruhen auf einer Konvention

Links und rechts sind räum­liche bzw. rich­tungs­wei­sende Adjektive, die sich, um echte Gegen­sätze zu sein, niemals auch in ihren Extrem­po­si­tionen berühren. Es gibt kein links­extrem und rechts­extrem in diesem Kontext. Etwas was links ist, kann nicht gleich­zeitig rechts sein. Sprache beruht auf Kon­ven­tionen. Niemand hat die Begriffe „rechts“ und „links“ gesetzt. Links und rechts sind spontan ent­standen. Unter den Men­schen herrscht Einigkeit darüber, wo rechts und wo links ist.

Im poli­ti­schen Kontext werden die Begriffe „rechts“ und „links“ gesetzt

Im poli­ti­schen Kontext wurden die Begriffe „rechts“ und „links“ in der Fran­zö­si­schen Revo­lution gesetzt. Einst empfing der König von Gottes Gnaden die ihm Nahe­ste­henden zu seiner Rechten, dem­entspre­chend wurde ab 1789 die Sitz­ordnung in der fran­zö­si­schen Natio­nal­ver­sammlung ein­ge­richtet. Liberale und Sozia­listen wurden links plat­ziert, während die Kon­ser­va­tiven rechts saßen. Da für ein aus­sa­ge­kräf­tiges poli­ti­sches Kri­terium für eine Rechts-Links-Unter­scheidung poli­tische Inhalte erfor­derlich sind, werden zum bes­seren Ver­ständnis die Ziele und die Mittel der dama­ligen Prot­ago­nisten etwas genauer betrachtet.

Der Eta­tismus

Das Ziel des rechten Flügels bestand darin, die bestehende gesell­schaft­liche Ordnung, das Ancien Régime, zu bewahren. Als Mittel zur Wahrung seiner Inter­essen setzte der rechte Flügel auf Kirche und Pries­ter­schaft zur Sicherung der Akzeptanz der Massen. Die „Rechten“ waren Eta­tisten und lösten gesell­schaft­liche Pro­bleme durch vom König gesetztes Recht, das ihnen Pri­vi­legien gegenüber den übrigen Unter­tanen sicherte. Den „linken Flügel“ bildete eine radikal-sozia­lis­tische Wider­stands­be­wegung und eine laissez-faire-liberale, die sich für indi­vi­duelle Freiheit, eine minimale Regierung, für freie Märkte und freien Handel, für inter­na­tio­nalen Frieden sowie für die Trennung von Kirche und Staat ein­setzte. Je reiner ihre frei­heit­liche Vision war, desto „extremere“ Linke waren sie. Links saßen die Frei­heit­lichen, rechts die­je­nigen, die den Staat zu ihrem irdi­schen Gott erklärten. Auch die Sozia­listen setzten sich für die indi­vi­duelle Freiheit ein, aller­dings im Sinne von Freiheit von Not. Logik war noch nie die Stärke von Sozia­listen, sie sind nicht grund­sätzlich Dumm, sie haben nur sehr viel Pech beim Nach­denken[3], denn dies ist eine Ver­wech­selung von Macht mit Freiheit. Und für diese Macht braucht es was? Einen auto­ri­tären Staat!

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Der Sozia­lismus

Die Begriffe „sozia­lis­tisch“ bzw. „Sozia­listen“ wurden nach der Fran­zö­si­schen Revo­lution um 1830 erst­malig ver­wendet. Der Sozia­lismus wird wegen der Plat­zierung im fran­zö­si­schen Par­lament als links ange­sehen. His­to­risch beein­flusst ist der Sozia­lismus sowohl von den laissez-faire Libe­ralen als auch von den eta­tis­ti­schen Kon­ser­va­tiven. Von der indi­vi­dua­lis­ti­schen Libe­ralen über­nahmen die Sozia­listen die Ziele der Freiheit: die minimale Regierung, den Aus­tausch des Regierens von Men­schen durch die Ver­waltung von Ange­le­gen­heiten (ein Konzept, das im frühen 19. Jahr­hundert von den fran­zö­si­schen Laissez-faire-Libe­ralen Charles Comte und Charles Dunoyer geprägt wurde), die Oppo­sition gegen die herr­schende Klasse und der Versuch ihres Umsturzes durch demo­kra­tische Wahlen (aller­dings in der sozia­lis­ti­schen Form der Sozi­al­de­mo­kratie, der Umsturz durch Revo­lution ist Kenn­zeichen des Mar­xismus), das Ver­langen, einen inter­na­tio­nalen Frieden zu eta­blieren, die For­derung nach einer wei­ter­ent­wi­ckelten Öko­nomie sowie nach einem hohen Lebens­standard für die Massen.

„Jeder nach seinen Fähig­keiten, jedem nach seinen Bedürf­nissen!“, so lautete 1875 die Utopie von Karl Marx. Von den Kon­ser­va­tiven über­nahmen die Sozia­listen die Mittel zur Errei­chung dieser Ziele: Kol­lek­ti­vismus, staat­liche Planung, Staats­kon­trolle über den Ein­zelnen. Einen Teil seiner „Lehre“ übernahm Marx von den Libe­ralen, zum Bei­spiel findet sich die irrige objek­ti­vis­tische Arbeits­wert­theorie[4] schon bei David Ricardo. Das aber posi­tio­niert inhaltlich den Sozia­lismus nicht mehr auf der indi­vi­du­ellen, anti-auto­ri­tären linken Seite, sondern auf der auto­ri­tären rechten. Der Sozia­lismus steht Rechts! Es bedeutet außerdem, dass der Sozia­lismus wegen des inneren Wider­spruchs zwi­schen seinen (indi­vi­du­ellen) Zielen und (eta­tis­ti­schen) Mitteln eine instabile, selbst­wi­der­sprüch­liche Doktrin ist, denn einem zen­tralen Planer stehen die Infor­ma­tionen der Markt­teil­nehmer nicht zur Ver­fügung, er kann nur seine eigenen Ziele kennen und diese verfolgen.

Jede Form des Sozia­lismus ist laut Ludwig von Mises (1881 – 1973) folglich zum Scheitern ver­ur­teilt, da im Sozia­lismus eine rationale Wirt­schafts­rechnung und infol­ge­dessen eine optimale Koor­di­nation von Res­sourcen unmöglich sind. Preise sind das Produkt von situa­tiven sub­jek­tiven Wert­ein­schät­zungen von Ein­zel­per­sonen und können deshalb nicht durch eine zen­trale Pla­nungs­be­hörde auf­grund „objek­tiver“ Daten fest­gelegt werden.

Die Sozi­al­de­mo­kratie

Der Sozia­lismus bestand aus zwei Strö­mungen, den sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Reformern und den mar­xis­ti­schen Revo­lu­tio­nären. Erstere wollten die Dik­tatur des Pro­le­ta­riats über demo­kra­tische Wahlen, letztere über eine Revo­lution erreichen. His­to­risch gesehen litt die Sozi­al­de­mo­kratie in ideo­lo­gi­scher und orga­ni­sa­to­ri­scher Hin­sicht unter einem ähn­lichen Wider­spruch: Sozi­al­de­mo­kraten wie Friedrich Engels, Fer­dinand Lassalle oder Karl Kautsky trieben unauf­haltsam nach rechts, indem sie den Staats­ap­parat als Mittel zur Umver­teilung akzep­tierten, stärkten und zu „linken“ Anhängern des Kor­po­ra­tismus wurden.[5] Im Laufe ihrer Ent­wicklung wurden sie zu Eta­tisten und wech­selten vom linken, indi­vi­dua­lis­ti­schen Flügel zu den kon­ser­va­tiven Rechten. Nichts kenn­zeichnet besser diesen Geist wie die Worte Fer­dinand Lass­alles: „Der Staat ist Gott.“[6] Das Sichern von Pri­vi­legien für ihre Funk­tionäre und der für ihre Ziele erfor­der­liche auto­ritäre Staat sind rechts, ideo­lo­gisch prä­sen­tieren sich die Sozi­al­de­mo­kraten dagegen als links, denn „nichts ist ihnen so sehr ver­hasst, wie der rechts­ste­hende Bür­ger­block“[7].

Nichts kenn­zeichnet besser diesen Geist wie die Worte Fer­dinand Lass­alles: „Der Staat ist Gott.“

Der Kon­ser­va­tismus

Der Kon­ser­va­tismus steht für die Bewahrung der aktuell herr­schenden gesell­schaft­lichen Ordnung mit einer gewissen Tendenz, einen bereits ver­gan­genen Zustand zu idea­li­sieren. Da diese Aus­richtung des Kon­ser­va­ti­vismus es unmöglich macht, eigene Ideen zu ent­wi­ckeln, müssen sie die Ideen von anderen über­nehmen. Alle Maß­nahmen staat­licher Regu­lierung und des Wohl­fahrts-Eta­tismus wurden nicht nur voll und ganz von den Kon­ser­va­tiven unter­stützt, sondern wurden von ihm sogar aus der Taufe gehoben, um von einem freien Markt zu einer Kar­tell­wirt­schaft kommen zu können. Unter dem Tarn­mantel von Regu­lie­rungen „gegen Monopole“ und „zugunsten der öffent­lichen Wohl­fahrt“ waren die Kon­ser­va­tiven erfolg­reich darin, sich selbst Kar­telle und Pri­vi­legien durch die Instru­men­ta­li­sierung der Macht der Regierung zu garan­tieren. Die Kon­ser­va­tiven ebneten durch Otto von Bis­marck den Weg zum kor­po­ra­tiven Inter­es­sen­staat und führten den Wohl­fahrts­staat ein.

Der Wohl­fahrt­staat als moderner Feu­dal­staat war die poli­tische Stra­tegie der deut­schen Kon­ser­va­tiven, um, basierend auf einer national-eta­tis­ti­schen Ideo­logie, eine vom Staat abhängige Bevöl­kerung zu schaffen. Bis­marck beschrieb den Grund für den anhal­tenden Erfolg dieser Idee wie folgt:

„Mein Gedanke war, die arbei­tenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Ein­richtung anzu­sehen, die ihret­wegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.“[8]

Das Mittel zur Macht­si­cherung ist die Erzeugung einer mög­lichst großen Basis von Abhän­gigen von staat­lichen Trans­fer­leis­tungen. Der Wohl­fahrts­staat trennt die indi­vi­du­ellen Hand­lungen von den Folgen der Hand­lungen und sorgt für eine kol­lektive Ver­ant­wor­tungs­lo­sigkeit. Tat­sächlich finan­zieren die Zwangs­ver­sorgten ihre „soziale“ Sicherung direkt oder indirekt selbst und dazu den wuchernden Behör­den­ap­parat, der von den Pri­vi­le­gierten betrieben wird. Eine logische Folge der Abtrennung von Vor­teilen und Bei­trägen im Wohl­fahrts­staat ist, dass die aktuelle Gene­ration auf Kosten der nach­fol­genden Gene­ra­tionen lebt, denn letztere müssen die Staats­schulden finan­zieren, die erstere ihnen über­lassen haben – am Ende steht unwei­gerlich der Staatsbankrott.

Der Libe­ra­lismus

Der klas­sische Libe­ra­lismus steht vor allem in der Tra­dition des angel­säch­si­schen libe­ralen Denkens, wie es in den Worten von Thomas Jef­ferson zum Aus­druck kommt:

Wir halten diese Wahr­heiten für selbst­ver­ständlich, daß alle Men­schen gleich geschaffen sind, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unver­äu­ßer­lichen Rechten aus­ge­stattet sind, daß dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören, daß zur Sicherung dieser Rechte Regie­rungen unter den Men­schen ein­ge­setzt werden, die ihre recht­mäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten her­leiten, daß, wenn auch immer irgendeine Regie­rungsform diese Zwecke zer­stört, das Volk berechtigt ist, sie zu ändern oder abzuschaffen.

Thomas Jef­ferson defi­niert hier einen wider­ruf­lichen Gesell­schafts­vertrag, der den Regierten genügend Auto­nomie belässt, um die von Men­schen geschaf­fenen Insti­tu­tionen jederzeit durch andere, besser zu ihnen pas­sende Insti­tu­tionen zu ersetzen. Ludwig von Mises spricht in diesem Zusam­menhang von Sezession.

Das Ziel des klas­si­schen Libe­ra­lismus war die Abschaffung der auto­ri­tären Herr­schaft durch Freiheit. Sie wollten Eigentum besitzen und sich ihrer Feu­dal­herren ent­le­digen. Zur Durch­setzung dieser Ziele war ein Mini­mal­staat ange­dacht, der über das Mittel der kol­lek­tiven Wahl (Demo­kratie) von seinen Bürgern gesteuert und von der Ver­fassung begrenzt wird. Das Problem dabei ist jedoch: Jede indi­vi­duelle Wahl kann durch die kol­lektive Wahl außer Kraft gesetzt werden. Im Laufe der Zeit wurde aus dem Mini­mal­staat ein Maxi­mal­staat. Hayek nannte dies den „Weg zur Knecht­schaft“. Weil der Libe­ra­lismus wie der Kon­ser­va­ti­vismus wegen seiner feh­lende Prin­zi­pi­en­strenge nicht resistent ist gegen ideo­lo­gische Angriffe, ist er zu fort­schrei­tendem Iden­ti­täts­verlust ver­ur­teilt: Der klas­sische Libe­ra­lismus ist nicht strikt!

Das Ziel des klas­si­schen Libe­ra­lismus war die Abschaffung der auto­ri­tären Herr­schaft durch Freiheit. Sie wollten Eigentum besitzen und sich ihrer Feu­dal­herren entledigen.

Die Gegen­sätze lauten Freiheit oder Gleichheit

Wenn also kon­ser­vativ rechts ist, die Sozia­listen und Sozi­al­de­mo­kraten als struk­tur­kon­ser­vative inhaltlich auch rechts sind, weil sie allesamt das gleiche Mittel wählen, dann sind die Begriffe „links“ und „rechts“ im poli­ti­schen Bereich zu Wort­hülsen ver­kommen, die nur zur Dis­kre­di­tierung des poli­ti­schen Wett­be­werbers ver­wendet werden. Wie dieser Artikel zeigt, können sie mit belie­bigem Inhalt gefüllt werden. Es kommt in der Dis­kussion auf den ersten gesetzten Wert an, danach ist es möglich, den poli­ti­schen Wett­be­werber in die gewünschte Ecke zu schieben.

Die Begriffe links und rechts zur räum­lichen Ori­en­tierung dagegen sind nicht gesetzt, sie sind spontan ent­standen und beruhen auf einer Kon­vention. Sie sind für die poli­tische Dis­kussion unge­eignet und sollten daher nicht mehr ver­wendet werden. Es ist ein anderes Kri­terium zur Unter­scheidung erfor­derlich. Das Kri­terium besteht aus den Ideen und Wert­ur­teilen, die die indi­vi­duelle Handlung leiten, das Kri­terium ist die Handlung selbst und die Folgen einer Handlung. Der Mensch handelt. Freiheit bedeutet die Freiheit der Wahl unter rea­li­sier­baren Mög­lich­keiten (liberum arbi­trium). Wer aber wählt die Mittel zur Ziel­er­rei­chung? Die Person in Selbst­be­stimmung oder der Untertan in Fremd­be­stimmung durch Unter­werfung? Alles in allem redu­ziert sich die Unter­scheidung in Freiheit oder Gleichheit, in mensch­liche Indi­vi­dua­lität oder kol­lek­ti­vis­ti­schen Etatismus.

Auf der kol­lek­tiven Seite besteht das Ancien Régime in Form einer Befehl-Gehorsam-Beziehung fort. Der Thron des Königs wurde nicht umge­stürzt, er wurde nur mit einem anderen König besetzt, einem König aus „dem Volk“. Es ist für den Ein­zelnen nicht relevant, ob er von einem Dik­tator oder von einer Mehrheit bei der Ver­wirk­li­chung seiner Ziele behindert wird. Das Mittel der Gleichheit ist der Zwang, der aus gesetztem Recht resul­tiert. Der Rechts­po­si­ti­vismus ist his­to­risch belastet, denn gemäß den Rechts­po­si­ti­visten ist jeder Staat ein Rechtsstaat:

Vom Stand­punkt der Rechts­wis­sen­schaft ist das Recht unter der Nazi­herr­schaft ein Recht. Wir können es bedauern, aber wir können nicht leugnen, dass das Recht war[9].

Den „Guten“ stellt sich, nach dem mora­li­schen Desaster in Folge der demo­kra­ti­schen Macht­übergabe an die Regie­rungs­ko­alition bestehend aus NSDAP und DNVP das unge­löste Problem der Beschränkung von staat­licher Macht. Sie sind his­to­risch belastet. Für echte Liberale, heute nennen sie sich Libertäre, stellt sich dieses Problem nicht, denn für sie sind Gewalt gegen Per­sonen oder fremdes Eigentum prin­zi­piell unzu­lässige Handlungen.

Der Thron des Königs wurde nicht umge­stürzt, er wurde nur mit einem anderen König besetzt, einem König aus „dem Volk“.

Kommen wir nun zu der der Gleichheit gegen­über­lie­genden Seite, auf der sich die Befür­worter der indi­vi­du­ellen Freiheit befinden. Das Gegenteil von Gleichheit ist Freiheit. Das Mittel der Freiheit ist die Koope­ration im Vertrag. Die Freiheit wird logisch-epis­te­mo­lo­gisch durch die Frei­heits­ver­mutung gestützt. Kon­ven­tionen sind frei­willig in der Gesell­schaft ange­nommene Ver­hal­tens­regeln und eine aus Gewohn­heiten gewachsene Kultur. Ein Vertrag ist eine solche Kon­vention und führt bei beiden Ver­trags­partnern jeweils ein Recht und eine Ver­pflichtung herbei. Eine Freiheit drückt eine Beziehung zwi­schen einer Person und einer Handlung aus. Ein Recht dagegen stellt eine Beziehung zwi­schen zwei Per­sonen und einer Handlung, dem Gläu­biger und dem Schuldner eines Rechts dar. Diese beiden Expli­ka­tionen prä­zi­siert Anthony de Jasay über die Frei­heits­ver­mutung zur For­mu­lierung und Über­prüfung der Theorie. Die Freiheit geht dem Recht logisch voran, das Recht ent­steht aus der vor­he­rigen Zustimmung des Schuldners, der das Recht gewährt. Eine solche von der Freiheit aus­ge­hende poli­tische Phi­lo­sophie nennt sich fol­ge­richtig Liberalismus.

Die Freiheit geht dem Recht logisch voran, das Recht ent­steht aus der vor­he­rigen Zustimmung des Schuldners, der das Recht gewährt.

Die Frei­heits­ver­mutung

Kern­stück der poli­ti­schen Phi­lo­sophie von Anthony de Jasay ist die Frei­heits­ver­mutung, er leitet sie logisch-epis­te­mo­lo­gisch her und nutzt dabei die Asym­metrie zwi­schen der Über­prüf­barkeit (Veri­fi­kation) und der Wider­leg­barkeit (Fal­si­fi­kation) empi­risch gehalt­voller strikter „All-Sätze“. Widerlegt werden Theorien durch Tat­sachen. Eine Theorie ist dann wis­sen­schaftlich, wenn ein Falsch­heits­nachweis möglich ist. Nicht wider­legbare Theorien sind unwis­sen­schaftlich. Die Beweislast trägt der­jenige, der eine eta­blierte Theorie bestreitet.

Ein Bei­spiel möge dies ver­deut­lichen: Ein Wis­sen­schaftler bereiste die ganze Welt und konnte nur weiße Schwäne ent­decken. Er stellt daher die Theorie auf: „Alle Schwäne sind weiß“. Von Ein­zel­fällen auf eine all­ge­meine Regel zu schließen, ist jedoch logisch unzu­lässig, denn es könnte nicht­weiße Schwäne geben. Doch wer trägt die Beweislast für die Falschheit einer eta­blierten Theorie? Die Frage der Beweislast ist eine Frage des Auf­wandes, um einen ein­zigen wider­le­genden Beweis zu finden: Sollen impli­ziert Können. Nur der Wider­spre­chende kann die Beweislast tragen. Der­jenige, der behauptet, es gäbe nicht­weiße Schwäne, muss einen solchen Schwan als Beweis vor­zeigen können. Mit der Frei­heits­ver­mutung verhält es sich ent­spre­chend. Dem anderen die Beweislast auf­zu­er­legen hieße, etwas Unmög­liches von ihm zu ver­langen. Etwas Unmög­liches kann nicht bewiesen werden.

Demnach muss der gegen eine Handlung Ein­spre­chende einen Beweis dafür zeigen, dass der Han­delnde die Freiheit zu einer Handlung nicht besitzt. Wenn eine Person A eine Handlung aus­führen möchte, kann es unendlich viele Gründe unendlich vieler Ein­spre­chenden geben, die gegen die Handlung sprechen. Das Argument funk­tio­niert nach der Regel Sollen-impli­ziert-Können. A könnte niemals beweisen, dass es keine wei­teren Gründe gegen die Handlung gibt, da die Wider­legung einer unend­lichen Anzahl von Gründen logisch unmöglich ist. Des­wegen kann A die Beweislast für die Legi­ti­mität der geplanten Handlung nicht tragen. Im Gegensatz dazu ist jeder kon­krete Grund beweisbar, den Ein­spre­chende gegen die gegen­ständ­liche Handlung vor­bringen können. Ihre Anzahl von Gründen ist abzählbar endlich. Wenn Ein­spre­chende solche Gründe haben, tragen sie die Beweislast. Sie können zeigen, ob zumindest einer dieser Gründe tat­sächlich hin­rei­chend für einen gerecht­fer­tigten Ein­griff in die Handlung ist.

Freiheit bedarf keiner Recht­fer­tigung; was gerecht­fertigt werden muss, ist ihre Ein­schränkung, denn dafür benötigt es einen über­prüf­baren Beweis. Wer die Freiheit ein­schränken will, muss es beweisen können! Niemand hat folglich ein „Recht“, zwangs­weise auf Kosten eines anderen zu leben. Freiheit bedeutet, dass jede Handlung zu tole­rieren ist, solange sie nicht eine unzu­lässige Handlung ist, also gegen die kör­per­liche Unver­sehrtheit oder das Eigentum eines anderen gerichtet ist. Ein­kommen gehört dem Emp­fänger, der es ver­dient oder einen anderen Rechts­an­spruch darauf hat. Für Liberale ist deshalb eine schlüssige Erklärung erfor­derlich, warum die in Frage ste­henden Mittel nicht der Person gehören, die sie erworben, ver­dient, erspart oder geerbt hat. Wenn Eigentum durch Vertrag erworben wird, so bestehen Recht und Ver­pflichtung bis die Über­tragung bestätigt und die Bezahlung erfolgt ist. Nach voll­stän­diger Erfüllung erlö­schen diese Rechte und Ver­pflich­tungen, und das Eigentum ist unbe­lastet und frei.

Liberal zu sein bedeutet, Freiheit über Gleichheit zu stellen. Dass Gleichheit wesens­mäßig gut und Ungleichheit wesens­mäßig schlecht sei, erweist sich dann als bloße Behauptung“, so Anthony De Jasay.

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[1]    Immanuel Kant (1911, 21787): Kritik der reinen Ver­nunft, in AA03, S. 75. [2]    Roland Baader (2002): Tot­ge­dacht“, S. 109, Nachweis bei Rainer Zitelmann (1993): Hitler. Selbst­ver­ständnis eines Revo­lu­tionärs, S. 457 und bei Enrico Syring (1994): Hitler – Seine poli­tische Utopie, S. 275. [3]    Frei nach Alfred Tetzlaff, poli­ti­scher Phi­losoph beim WDR, zu einer Zeit, als dieser Sender noch Humor hatte. [4]    Eugen von Böhm-Bawerk wider­legte sie in seinem 1896 erschienen Essay Zum Abschluss des Marx­schen Systems. [5]    vgl. Murray Rothbard (2007): Der Verrat an der ame­ri­ka­ni­schen Rechten, S. 228 f. [6]    Ludwig von Mises (2023): All­mäch­tiger Staat, S. 72 [7]    Joseph Goebbels, in „Der Angriff“ vom 6.12.1931. [8]    Otto von Bis­marck (1924/1925): Gesam­melte Werke, Bd. 9, S. 195 f., zitiert in: Gerd Habermann (2013): Der Wohl­fahrt­staat – Ende einer Illusion, S. 181. [9]    Hans Kelsen (1963), in Schmölz (1963): Das Natur­recht in der poli­ti­schen Theorie, S. 148. (zitiert in: Friedrich August von Hayek (2013, 2003): Recht, Gesetz, Freiheit, S. 206.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei misesde.org