By BEN Rijks, CC BY-SA 2.0, Link

Prozess im Fall “BVB-Anschlag”: Ist der Atten­täter wirklich ein Aktien-Spekulant?

‘- Die bör­sen­tech­nische Erklärung der Spe­ku­la­ti­ons­ab­sicht fehlt -

Am 21.12. soll in Dortmund der Prozess gegen den mut­maß­lichen BVB-Atten­täter beginnen, der sich mit Derivate-Spe­ku­la­tionen auf fal­lenden BVB-Akti­enkurs berei­chern wollte. Diese Version klingt unwahr­scheinlich: Denn es gab damals wie heute an der deut­schen Börse für Pri­vat­an­leger keine  ent­spre­chenden Derivate zum Spe­ku­lieren in diesem Titel. Wert­pa­pier­analyst Dr. Viktor Heese, hat bereits am 28.04. 2017 Zweifel an der Spe­ku­la­ti­ons­these geäußert.

Auszug aus dem Beitrag vom 28.04.2017 “Der BVB Anschlag – wieso wir Zweifel haben” 

BVB-Put von DZ Bank (WKN DG7MN4) – wie aus 78.000 € schnell 1.170.000 € werden könnten?

Anders als mit der Aktie von Manchster United hätte der Anleger der BVB-Aktie in den letzten 16 Jahren Ver­luste von 50% gemacht. Der Titel ist am Akti­en­markt völlig unbe­deutend und wird im Gere­gelten Markt („3. Bör­senliga“) mit einem Tages­umsatz von zuletzt 100.000 Stück gehandelt. Zum Ver­gleich: bei Spit­zen­reitern im DAX sind es einige Mil­lionen Aktien. Auch gutes Abschneiden der Dort­munder Spieler wird am Status ihrer Aktie nichts ändern.

Bei der Defi­nition eines Deri­vates (Opti­ons­scheine + Optionen + Zer­ti­fikate) ist jedes Wort wichtig. Bei einem Put oder Call erwirbt sein Käufer vom Emit­tenten bei Fäl­ligkeit das Recht auf Aus­zahlung der posi­tiven (Call) oder nega­tiven (Put) Dif­ferenz zwi­schen dem Kurs des Basis­wertes und dem Basiskurs (auch Aus­übungskurs genannt). Der Put oder Call ist immer an einen Basiswert (z.B. Deutsche Bank Aktie oder der DAX) gekoppelt und bewegt sich mit diesem in die gleiche (Call) oder die umge­kehrte Richtung (Put). Den Basiskurs und/oder Laufzeit des Puts oder Calls kann der Emittent beliebig fest­legen. Wenn wir stei­gende Preise unserer Basiswert erwarten, kaufen wir Calls, wenn fal­lende, Puts.

Heute werden in Deutschland fast 1 Mio. ver­schie­dener Derivate-Titel gehandelt, bei 150 Aktien-Titeln im DAX, MDAX, SDAX und TechDAX. Bei dieser Menge sind die meisten davon „bör­sia­nische Kar­tei­leichen“ mit wenig Han­dels­umsatz, kurzen Lauf­zeiten und dem Anla­ge­pu­blikum völlig unbe­kannt. Allein für die unbe­deu­tende BVB-Aktie gibt es 102 Opti­ons­scheine (davon 23 Puts).

Im kon­kreten Fall des Puts auf die BVB-Aktie, die zum Anschlags­zeit­punkt (11.4.2017) bei etwa 5,40 € notierte, würde ein Inhaber des Puts DG7MN4 erst bei einem Fall der Aktie unter 3,60 € in die Gewinnzone kommen. So wäre beim Kurs von 3,00 € der Put rech­ne­risch 0,60 € wert (Basiswert 3,60 € – Kurs BVB-Aktie 3,00 €), bei 2,70 € schon 0,90 € usw. Sein Gesamt­gewinn wird von der Anzahl der Puts, ihrem Kauf­preis und dem Kurs der gefal­lenen BVB-Aktie abhängen. Hier eine über­schlägige Rechnung bei einem Eigen­ka­pital von 78.000 € und unter­stelltem Kurs­rück­schlag der BVB-Aktie auf 2,70 €:

  1. für 78.000 € kauft der Spe­kulant 1,3 Mill. Puts die „nur“ 6 Ct. kos­teten (Graphik) weil ein Kurs­verfall der Aktie um 1/3 bis zur Gewinnzone bis zum 16.Juni 2017 unwahr­scheinlich war. Wenn die Aktie am 17.Juni bei 3,61 notiert erleidet der Put – Inhaber Totalverlust. 
  2. wenn die Aktie auf 2,70 € dennoch ein­bricht, ver­kauft er die Puts zu 90 Ct. und erzielt 1,17 Mio. € Gewinn oder das 15fache des Ein­satzes von 78.000 €. Dieses Mehr­fache wird in der Bör­sen­sprache Hebel genannt. Je höher der Hebel desto höher die Gewinn­chancen aber auch das Verlustrisiko.

Warum ein Bör­sen­profis an der offi­zi­ellen Anschlag­version Zweifel haben muss?

Ein Bör­sianer wird an der Version des Main­streams zum  BVB-Attentat aus drei­erlei Gründen zweifeln. Erstens: keine Bank gibt jemanden Ver­brau­cher­kredite ohne Ver­wen­dungs­nach­weise und Sicher­heiten, schon gar nicht zum Zocker. Zweites: 1,3 Mio. Puts in einem illi­quiden Markt (“Kar­tei­leichen”) zu kaufen, ist sehr unwahr­scheinlich. Drittens: es wäre möglich, dass ein Bör­sen­profi, der ohne Täter zu sein im Hotel nah am Anschlagsort gas­tierte, direkt davon erfuhr — so der Beklagte Siergej W. — und agierte. Wenn ich als Ort­in­sider als erster etwas vom Attentat auf Trump erfahre, kaufe ich eben­falls Puts. Um  glaub­würdig zu sein, sollte die Staats­an­walt­schaft die Wert­pa­pier­ab­rech­nungen ver­öf­fent­lichen. 

Nach wie vor offene Fragen

Diese Fragen blieben bis heute unbe­ant­wortet. Statt­dessen sprechen die Medien einmal von 44.300 € ein anders Mal von 78.000 € Ein­satz­ka­pital, ver­wechseln Opti­ons­scheine (für Pri­vat­an­leger) mit Optionen (für insti­tu­tio­nelle Anleger) und kon­zen­trieren sich auf die Vor­würfe gegen die Staats­an­walt­schat, die für den Prozess 18.000 Seiten Beweis­ma­terial gesammelt haben soll. Selbst bei Wiki­pedia ist zum Vorgang nunmehr ein Eintrag zu finden. Zur Erklärung wie die Spe­ku­lation bör­sen­tech­nisch ablaufen sollte ist nichts zu finden, auch bei Wiki­pedia nicht, die 28 Ein­zel­nach­weise auf­führt. Fehlt hier den Autoren das Fach­wissen? Dabei wäre es so einfach die Spe­ku­la­ti­ons­pa­piere mit dazu­ge­hö­rigen Wert­pa­pier­nummern (WKN), ihre Anzahl und die Kauf-/Ver­kaufs­termine — sprich einige retu­schierte Kon­tos­auszüge — zu zeigen, damit auch Bör­sen­profis dazu Stellung nehmen könnten.

Viel­leicht wird die Staats­an­walt­schaft doch mit einigen Über­ra­schungen aufwarten?

 

Dr. Viktor Heese arbeitet 28 Jahre als Wert­pa­pier­analyst und ist heute Fach­buch­autor und Dozent

www.börsenwissen-für-anfänger.de