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“Europa” als Ersatz-Religion

Wir glauben nicht mehr an einen Gott, wir glauben nur noch an ein “Europa und seine Werte”. Zumindest möchten uns das die Hohe­priester der Euro-Säku­la­ri­sierung so glauben machen. Was wir erleben, ist die medial for­cierte Ver­breitung einer exklusiv weltlich ori­en­tierten poli­ti­schen Ersatz-Religion, deren Vatikan in Brüssel loka­li­siert ist.

Die Werte

Den Inhalt dieser Religion machen die soge­nannten euro­päi­schen Werte aus, die zwar keiner so ganz genau defi­nieren kann, die aber jeder gern im Munde führt. Mensch­lichkeit, Men­schen­rechte, Toleranz, Libe­ra­lismus und Gleichheit sind die zen­tralen, aber letztlich völlig dif­fusen Begriffe dieser neuen Glau­bens­lehre ohne Gott. Der Chef der welt­lichen Glau­bens­kon­gre­gation nennt sich zur Zeit Juncker, seine Kar­dinäle heissen Macron oder Merkel. Sie schwingen als willige Voll­strecker der EU-Gebote in den ihnen zuge­teilten Kir­chen­pro­vinzen ihre Bischofsstäbe.

Und der Papst?

Die Rolle des Papstes wechselt, denn sie ist immer davon abhängig, welcher der EU-Kar­dinäle gerade den größten Medien-Hype erlebt. War es bis vor kurzem Macron und vor ihm Angela Merkel, scheint knapp vor den deut­schen Wahlen neu­erlich Frau Merkel in die Papst­rolle geschlüpft zu sein. Apropos Papst: Das Ori­ginal wirkt wie ein Ana­chro­nismus, ja fast wie eine Kari­katur eines Pon­tifex maximus: Der Heilige Vater im Vatikan darf zwar seine zur EU-Politik pas­senden, leider oft haar­sträu­benden State­ments abgeben, aber sonst ist seine Wirk­mäch­tigkeit sehr lau geworden — was soll er auch in einer völlig säku­la­ri­sierten Welt noch tun als seinen Segen dazu zu geben und hin und wieder ein “Memento” einzuflechten?

Ein Schisma ums andere

Im Bereich der eng­li­schen EU-Kir­chen­provinz hat es tra­di­ti­ons­gemäß (wie schon 1534 unter Heinrich VIII.) wieder eine Abspaltung gegeben: Der Brexit war und ist die Infra­ge­stellung des gesamten EU-reli­giösen Überbaus und der immer­wäh­renden Zen­tral­macht in Brüssel.

Im Osten rumort es ebenso gewaltig: Der wider­ständige Kar­dinal Viktor Orban will nicht so wie die sich all­mächtig füh­lende Päpstin Merkel es will. Und Orban will schon gar nicht so, wie es der EU-kirch­liche Oberste Gerichtshof für richtig befindet. Auch hier droht mög­li­cher­weise ein großes Schisma. Die kleine Stadt Visegrad könnte so gesehen zu einem Avignon der Moderne werden.

Die Mission funktioniert

Die säkulare EU-Kirche hat überall ihre Adepten und Mis­sionare ein­ge­setzt. Diese wachen mit Argus­augen über die Ein­haltung der bestens ein­ge­führten euro-reli­giösen Rituale und Tabus. Die bravsten Ban­ner­träger der kor­rekten und lini­en­treuen Euro­philie sitzen in den öffentlich-recht­lichen Rund­funk­an­stalten. Die treuen Gesandten der Brüssler Zen­tral­meinung geben in ihren Sen­dungen der poli­ti­schen Kor­rektheit jenen Raum, den diese braucht, damit ihre Euphe­mismen überall ein­si­ckern können.

Der Begriff “Sendung” erhält dadurch eine neue reli­giöse Auf­ladung und Bedeutung. Die braven Fol­lower der Medi­en­leute beten nach jeder dieser “Sen­dungen” mit ihren Mis­sio­naren auf den Social Media das Euro-Werte-Vater-Unser und ver­folgen die­je­nigen mit Wut und Galle, die von den EU-Adepten für quasi vogelfrei erklärt wurden — weil sie es gewagt haben, sich aus­serhalb des Main­streams zu bewegen. Für Ketzer gibt es den Schei­ter­haufen, das war immer schon so.

Die neue Inquisition

Wer sich nicht der öffentlich-recht­lichen Inqui­sition beugt, wird vom Mode­ra­to­ren­stuhl aus sofort ohne wei­teres Feder­lesens abge­ur­teilt, an den Pranger gestellt und am nächsten Tag von der zweiten euro-kirch­lichen Kampf­linie über­nommen: Die Print­medien, allesamt zu einem guten Teil über die säkulare Kir­chen­steuer namens Pres­se­för­derung finan­ziert, sind die stets bereiten Exe­ku­toren  der Kor­rektheit und beenden das Werk, das von den TV-Mode­ra­toren begonnen wurde.

Wackere Schreib­tisch­täter file­tieren die zur Bestrafung frei­ge­ge­benen Frei­geister, die sich der dik­tierten Meinung wider­setzt haben. Im Schlepptau haben diese Priester der ver­öf­fent­lichten Meinung stets eine Minis­tran­ten­schar von sub­al­ternen Kra­keelern, die ihren Pfarrern beflissen nach dem Munde reden und den neuen Bann­fluch erzeugen: Er nennt sich Shit­storm. Nur wenige “Delin­quenten” schaffen es, ihre klare Haltung in diesem mora­lisch-selbst­ge­rechten Geifer, der täglich aus den Redak­ti­ons­stuben quillt, zu bewahren.

Glauben mit Ablaufdatum

Die neue Religion ist gna­denlos, streng orthodox und strikt weltlich ori­en­tiert. Sie ist aber auch auf­ge­setzt, künstlich und ohne echten Wert. Jeder darf sich selbst seine Gerech­tigkeit zimmern, solange sie nur irgendwie ins wolkige EU-Wer­te­ge­bäude passt. Genau diese säkulare Haltung ohne gewach­senes Fun­dament ist aber auch der Geburts­fehler und der Todeskeim der neuen Religion: Wer seine Regeln aus sich selbst heraus gebiert, kann diese niemals absolut setzen. Solche Regeln sind immer relativ und immer änderbar, sie sind fragil, angreifbar und willkürlich.

Andres gesagt: Sie haben letztlich keinen tran­szen­denten Wert, weil sie sich nicht am Natur­recht ori­en­tieren. Und wer keine Tran­szendenz und Meta­physik zulässt, scheitert zwangs­läufig an sich selbst und an seiner durch diese Haltung ent­stan­denen Sinn­lo­sigkeit der je eigenen Existenz, die ohne höheren Auftrag ist.

Den Ange­hö­rigen jener fremden und hoch­re­li­giösen Kultur, die gerade in das meta­phy­sische Vakuum Europas förmlich hin­ein­ge­saugt werden, spüren das genau.  Und sie wissen: Die Unter­werfung, die “Sou­mission”, kommt ganz von alleine, sie ist nur noch eine Frage der Zeit.

Dr. Marcus Franz / thedailyfranz.at