Meta­po­li­tische Auf­gaben alter­na­tiver Medien — Über den Tel­lerrand hinaus

(Von Dr. Wolfgang Caspart)

Faßt man Politik sys­te­misch auf, so ist sie selbst Teil eines über sie hin­aus­ge­henden Systems und besteht ihrer­seits aus Sub­sys­temen. Die Politik ist ein offenes, „dis­si­pa­tives“ und kom­plexes System, dessen Sub­systeme sich wech­sel­seitig und dyna­misch beeinflussen.

Die Tages­po­litik hat zu ent­scheiden, welche Straße gebaut wird oder nicht, ob heute die direkten Steuern gesenkt und die indi­rekten erhöht werden oder umge­kehrt, wer auf welche Position gesetzt oder zum Abschuß frei­ge­geben wird, welche Pro­pa­gan­da­linie ein­zu­schlagen ist et cetera. Dagegen hat die Struk­tur­po­litik lang­fristige kul­tur­po­li­tische Ziele im Auge und wird zur „Meta­po­litik“. Die Tages­po­litik bedient sich ver­schie­dener Modelle und gibt sich einmal liberal und dann sozial, einmal öko­no­misch und dann wieder öko­lo­gisch, das eine Mal markt­wirt­schaftlich und bei Bedarf wie­derum staats­in­ter­ven­tio­nis­tisch oder einmal national und das andere Mal inter­na­tional. Die Meta­po­litik hin­gegen sucht auf­grund eines mehr oder weniger geschlos­senen Kul­tur­ver­ständ­nisses über­dau­ernde Struk­turen aus­zu­machen und zu sichern.

WECH­SEL­SEITIGE RÜCKKOPPELUNGEN

Innen- und Außen­po­litik, Wirt­schafts- und Sozi­al­po­litik, Ver­kehrs- und Öko­lo­gie­po­litik oder Inter­essens- und Finanz­po­litik unter­liegen stän­digen Rück­kop­pe­lungen. Auch die Sub­systeme „Tages­po­litik“ und „Struk­tur­po­litik“ des Systems „Politik“ beein­flussen sich gegen­seitig. In kom­plexen und dyna­mi­schen Sys­temen gibt es keine ein­seitig linearen Abhän­gig­keits­ver­hält­nisse. Ord­nungs­pa­ra­meter können mit­ein­ander koope­rieren, alle Sub­systeme der Gesamt­po­litik haben ihre Berech­tigung, und im Grunde ist eine sys­te­ma­tische Politik ohne ihre tages­po­li­ti­schen und struk­tur­po­li­ti­schen Kom­po­nenten undenkbar. Reine Tages­po­litik würde zum gesichts­losen Selbst­zweck, und bloßes Sicher­gehen in kul­tur­po­li­ti­schen Fragen wäre weltfremd.

Ohne lang­fristige Per­spektive kann keine Tages­po­litik funk­tio­nieren, und ohne tages­po­li­tische Umsetzung führt keine Kul­tur­po­litik zum Ziel. In wech­sel­sei­tiger Rück­kop­pelung ergänzen sie ihre eigenen Defizite und berei­chern ein­ander. Für die Tages­po­litik bedeutet dies, daß lang­fristige Erfolge nur auf grund­sätz­lichen struk­tur­po­li­ti­schen Wei­chen­stel­lungen beruhen können. Sieht man die vollen Ter­min­ka­lender und den arbeits­in­ten­siven Tages­ablauf der in der Tages­po­litik Tätigen (gleich welcher Couleur), so wundert es nie­manden, wenn kaum einer von ihnen noch dazu kommt, ein Buch zu lesen oder gar „Meta­po­litik“ zu pflegen. Deshalb setzt exakt hier die Aufgabe, Bedeutung und auch Chance der Struktur- oder Kul­tur­po­litik alter­na­tiver Medien ein.

DER WERT LANG­FRIS­TIGER KULTURPOLITIK

Doch genau weil mit einer auf lang­fristige Zukunfts­aus­sichten abge­steckten Kul­tur­po­litik kaum kurz­fristig tages­po­li­tische Erfolge zu erzielen sind, wird Meta­politk seit geraumer Zeit gerne von „bür­ger­lichen“ Poli­tikern und Medi­en­ge­wal­tigen unter­schätzt. Hier könnten sie von den Sozi­al­de­mo­kraten lernen, die ihrer Kul­tur­arbeit und dem Aufbau einer „sozia­lis­ti­schen Arbei­ter­kultur“ stets größtes Augenmerk schenken. Man sehe sich nur die eigent­lichen Inten­tionen mar­xis­ti­scher Sub- und Alternativ-„Kultur“, ihrer Bildungs-„Reformen“ und ihrer Ein­wan­de­rungs­po­litik an – lauter lang­fristig wirksame Maß­nahmen, für die sogar die kurz­zeitige Ver­är­gerung mancher eigener Anhänger in Kauf genommen wird. Die sys­te­ma­tische Ent­wicklung struk­tur­po­li­ti­scher Per­spek­tiven ist wenigsten ebenso wichtig wie cir­cen­sische Wahl­kam­pagnen. Die Struk­tur­po­litik ist Stra­tegie, die Tages­po­litik Taktik.

Nun zählt es zur Crux der Tages­po­litik, daß der in ihrer Mühle Wir­kende nicht nur leicht auf­ge­rieben wird, sondern mit­unter auch seine eigenen „Illu­sionen“ ver­liert, sprich: an der ursprüng­lichen Ziel­setzung ver­zweifelt und sie all­mählich selbst ver­nach­lässigt. Mit Clau­sewitz gliedert sich die Kriegs­kunst in die Taktik als ope­rative Führung und in die Stra­tegie, zu der die eigent­liche Ziel­setzung und die grund­sätz­lichen Ent­schei­dungen und Maß­nahmen zählen. Da die beste Taktik nichts hilft, wenn die Stra­tegie falsch, unklar oder auf­ge­geben ist, erhellt sich auch für den poli­ti­schen Prak­tiker der Wert lang­fris­tiger Kultur-und Metapolitik.

ZIEL­SETZUNG UND PLANUNG

Nicht nur Wirt­schafts­ma­nager sind gut beraten, sich an die Clau­se­witz­schen Lehren zu halten, sondern auch Poli­tiker. Für jede poli­tische Gemein­schaft erar­beitet die Kul­tur­po­litik die eigent­lichen ideellen Werte und Ziel­set­zungen und stellt die grund­sätz­lichen struk­tu­rellen Weichen. Auf ihrer Grundlage trifft dann die Tages­po­litik ihre Maß­nahmen und setzt die ihr zur Ver­fügung ste­henden Mittel plan­mäßig ein. Wie jede mili­tä­rische stra­te­gische Planung und jeder Finanz- wie Mar­ke­tingplan eines Unter­nehmens muß auch die poli­tische Stra­tegie fle­xibel sein, Zwi­schen- und Rück­zugs­zielen auf­stellen, Rück­kop­pe­lungs­ef­fekte wie Gegen­maß­nahmen berück­sich­tigen, Alter­na­tiven erar­beiten – und trotzdem die ursprüng­liche Ziel­setzung nie aus dem Auge verlieren.

Dafür ihre kul­tur­po­li­ti­schen oder „theo­re­ti­schen“ Medien zu haben und zu pflegen, tut jeder prak­ti­schen Politik gut. Hier treffen Struk­tur­po­litik und Tages­po­litik auf­ein­ander, über­schneiden sich und befruchten ein­ander wech­sel­seitig. Mag der Erfolg auch alter­na­tiver Magazine, Blocks, Inter­net­bei­träge und sozialer Medien nicht so ohne wei­teres zutage treten, so weiß doch jeder Ein­ge­weihte von ihrem Einfluß. Je hek­ti­scher die Schlamm­schlachten einer dem­ago­gi­schen Tages­po­litik aus­fallen, desto wich­tiger ist es selbst für die ihn ihnen Ste­henden, Lang­zeit­per­spek­tiven und Grund­satz­ziele reka­pi­tu­liert zu erhalten.

* (In: Fakten7‑8 2017, Seebarn, August 2017, S. 18) via conservo.wordpress.com