Wo leben wir eigentlich? Diese rhetorische Frage stelle ich mir in der letzten Zeit öfter als mir eigentlich lieb ist. Zumeist dann, wenn ich wie heute erneut, von etwas erfahre, was mich wirklich daran zweifeln lässt, ob ich mich in Deutschland oder nicht doch in China oder gar Nordkorea befinde.
Letzte Woche hat das EU-Parlament, von der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbemerkt, eine neue Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz abgesegnet, mit der Verbraucher vor Urheberrechtsverletzungen und betrügerischen Onlineshops geschützt werden sollen. Verbraucherschutz klingt erstmal schön, ist allerdings auf EU-Ebene leider zu oft einfach ein Deckmantel für irgendeinen Bevormundungsmist und deshalb mit einer gehörigen Portion Vorsicht zu betrachten. Wie in diesem Fall auch, denn geht es nach den Plänen der EU, könnten Verbraucherschützer bald Webseiten-Sperren ohne Gerichtsbeschluss veranlassen. Und spätestens jetzt sollten alle Alarmglocken anfangen zu läuten…
Um eine dementsprechende Verordnung umzusetzen, wäre es nötig, dass alle Internetprovider eine Möglichkeit schaffen, unbequeme Webseiten auf Knopfdruck zu blockieren. Das klingt nicht nur brandgefährlich, es ist es auch, wie man am Beispiel des Katalonien-Referendums festmachen kann. In Spanien gibt es diese Sperrmechanismen nämlich schon und die spanische Regierung blockierte und blockiert fleißig Webseiten, die sich für die Unabhängigkeit der Region Katalonien von Spanien einsetzen.
Man kann also unverblümt sagen: Die EU schafft durch die Hintertür Zensurmechanismen.
Wahrscheinlich gründet Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung dann sehr bald eine Verbraucherschutzorganisation – staatlich gefördert natürlich – und schützt alle deutschen Verbraucher vor „russischer Propaganda“, „Verschwörungstheorie“ und generell Webseiten mit Meinungen, die nicht mit der der Regierung konform gehen — wie z.B. unseren Blog dieUnbestechlichen.
Das Ganze geschieht dann ohne einen richterlichen Beschluss zu brauchen, ohne Einspruchmöglichkeiten für den Gesperrten und im Fall, dass es sich doch nur um ein „Versehen“ gehandelt habe, wird es wahrscheinlich nicht einmal die Möglichkeit geben Schadenersatz einklagen zu können. Danke EU! Wären wir in China oder Pjöngjang würde das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei jetzt geschlossen stehende Ovation abgeben.
Jetzt aber mal Spaß bei Seite, die ganze Sache hat natürlich auch ein Gutes: Sollte die Verordnung in der jetzigen Form wirklich umgesetzt werden, habe ich immerhin eine Antwort auf meine eingangs gestellte rhetorische Frage…