Als luxemburger Bürger, der für die ersten 18 Jahre seines Lebens nur einen einzigen Premierminister gekannt hat, kann ich Ihnen sagen, dass das harte Auftreten von Jean-Claude Juncker nicht im mindesten das wert ist, als was die Medien es verkmarkten.
(Von Bill Wirtz)
Jean-Claude Juncker war luxemburgischer Premierminister von 1995 bis 2013, und personifiziert all das, was mit der heutigen Politik falsch läuft: Juncker ist ein Jura-Student, der den Beruf nie ausübte, Sekretär bei der christlich-sozialen Partei wurde, sich zur rechten Hand des damaligen Premierministers (und späterer Kommissionspräsident) hinaufschleimte und 30 Jahre ohne Unterbrechung Mitglied der Regierung war.
Junckers Popularität in Luxemburg ist weiterhin unumstritten. Als man im Großherzogtum 2005 über den Vorschlag zur europäischen Verfassung abstimmte, drohte Juncker mit seinem Rücktritt, sollte das Resultat nicht positiv aussehen. Das mag in Großbritannien die Praxis sein, doch Luxemburger Wähler ließen sich von dieser Aussage einschüchtern. Er ließ Luxemburg glauben, das Land könne nur mit ihm einer der Player in Europa sein. Was wird wohl passieren, wenn er abhaut? 56% stimmten schlussendlich mit Ja.
Erinnern wir uns auch kurz daran, warum Juncker überhaupt als Premierminister zurückgetreten ist. In einem weitreichenden Überwachungs-Skandal, in dem der luxemburgische Geheimdienst regelmäßige, illegale Abhöraktionen tätigte, übernahm Juncker keine Verantwortung (dabei muss man wissen, dass der Geheimdienst der direkten Kontrolle des Premierministers untersteht).
Als er dann mit einem 140-seitigen Bericht konfrontiert wurde, der Schritt für Schritt sein Fehlverhalten genau darlegte, entschied sich Juncker dazu, lediglich auf seine überwältigende politische Erfahrung hinzuweisen. Luxemburg? Wer würde diese Land überhaupt kennen, wenn es nicht den großartigen Jean-Claude Juncker gäbe? Der ehemalige Eurogruppen-Chef rückte in die Defensive und bevorzugte es, seinen internationalen Freunden Besuche abzustatten, anstatt sich mit der Situation im eigenen Land zu beschäftigen.
Sein sozialdemokratischer Koalitionspartner löste daraufhin die Regierung auf: Ein erster Riss in Junckers Karriere.
Es gibt besonders bei der euroskeptischen Bewegung die Aussage, man müsse erst eine Wahl verloren haben, bevor man zur EU-Kommission kommt. Doch Juncker hatte die luxemburgischen Neuwahlen im Jahr 2013 nicht verloren. Im Gegenteil, seine christlich-soziale Volkspartei erreichte wieder ein Drittel der Wählerstimmen. Doch der politische Wille, um mit Junckers CSV zu koalieren, war gebrochen. Stattdessen formten Sozialdemokraten, Liberale und Grüne eine gemeinsame Regierung.
Der politische Skandal um die Geheimdienstaffäre hatte auf die Schlussfolgerung, dass Jean-Claude Juncker EU-Kommissionspräsident werden würde, keinen Einfluss.
Die kontinuierlichen Angstmacherei um den Brexit (wovon die meisten sich als falsch herausstellen) hatte keinen Effekt auf die britische Wählerschaft. Die meisten Briten wissen kaum, wer Jean-Claude Juncker ist, was seinen Einfluss auf Westminster sehr bildlich beschreibt. Mit dem Brexit hat die politische Realität seinen Charme überholt, und das Gleiche wird passieren, wenn sich herausstellt, dass Deutschland seine Autos und Belgien seine Biere doch zollfrei in Großbritannien verkaufen will. Denn dieses Mal verhandelt Juncker nicht mit einer Wählerschaft von 300 000 Menschen, sondern mit der fünftgrößten Wirtschaftsmacht der Welt.
Juncker ist Experte der geschauspielten Weisheit. Er will, dass sein Name mit dem von Jean Monnet oder Robert Schuman gleichgestellt wird; der alte Traum der Europäischen Union soll ihm zufolge mit ihm und in ihm weiterleben.
Die Realität wird ihn enttäuschen.
Lassen wir uns von Rücktrittsforderungen wie der des tschechischen Außenministers jedoch nicht beeindrucken: Der Rücktritt Junckers hätte keinen Einfluss auf das grundsätzliche Machtproblem in der EU. Es ist nicht so, dass Macht Menschen korrumpiert, sondern dass Macht bereits korrumpierte Menschen anzieht. “Die Skrupellosen und Hemmungslosen sind die, die wahrscheinlich am meisten Erfolg haben werden”, schrieb Friedrich Hayek im 10. Kapitel “Warum es die Schlimmsten nach oben schaffen” in seinem Buch “Der Weg zur Knechtschaft”. Wie könnte man anders die Scharade von Nationalpolitikern beschreiben, die durch die EU in machtvolle Positionen katapultiert werden.
Juncker ist nicht die Krankheit, er ist das Symptom.
Die Krankheit ist Macht.
Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Bill Wirtz.