Foto: Jochen Zick/action press - CC0 1.0

Märkte: Gefährlich nah am Abgrund!

Die Märkte sind ange­schlagen. Mochte man bis zum Durch­brechen der 200-Tages-Linie an der Wall Street am letzten Montag noch von einer Kor­rektur sprechen, so dürfte nun klar sein, dass uns Schlim­meres bevor­steht.
Märkte crashen nicht am Höchst­stand. Sie brechen erst ein, nachdem sie schon mehrere Wochen oder Monate unter Druck waren. Zunächst herrscht die Über­zeugung vor, dass es sich lohnt, bei einem Zurück­setzer zuzu­kaufen. War das doch seit Jahren die richtige Stra­tegie. Danach kommt die Hoffnung, dass es sich um eine „gesunde“ Kor­rektur handelt, die die Grundlage für die nächste Phase des Bul­len­marktes legt. Sodann wird die Alter­na­tiv­lo­sigkeit der Aktien gepredigt und die wahre Gefahr in den Anlei­hen­märkten gesehen. Auch werden die robuste Lage der Welt­wirt­schaft und die nach­haltig gute Gewinn­ent­wicklung der Unter­nehmen gepriesen. Ein Umfeld, indem man nur Aktien kaufen könne.
Trotzdem fallen die Aktien weiter. Der Markt ist angeschlagen.
Rut­schig nach unten
Wie im Bären­markt Anfang der 1970er-Jahre kann es auch deutlich bergab gehen, ohne dass es einen spek­ta­ku­lären Crash gibt. Diesmal glaube ich das nicht. Sollten die Aktien weiter sinken, droht in der Tat ein Crash. Der Grund dafür ist einfach: die zu hohe Ver­schuldung im System. Wir haben es mit Unter­nehmen zu tun, die sich – gerade in den USA – so hoch ver­schuldet haben wie noch nie und Inves­toren, die im ver­zwei­felten Versuch bei Nied­rig­zinsen noch gute Erträge zu erwirt­schaften, mit immer mehr Kredit spekulieren.
Beides zusammen macht die Märkte so anfällig für eine Fort­setzung der Korrektur. 
Sinkt der Akti­enkurs, sinkt der Marktwert des Eigen­ka­pitals des Unter­nehmens. Damit steigt der Ver­schul­dungsgrad und damit aus Sicht der Fremd­ka­pi­tal­geber das Risiko. In der Folge ver­kaufen diese die Anleihen des Unter­nehmens, was zu stei­genden Zinsen/Risikoprämien führt, was wie­derum ein höheres Risiko signa­li­siert, welches wie­derum mehr Inves­toren dazu bringt, die Anleihen und die Aktien zu verkaufen. 
Beschleunigt wird diese Abwärts­be­wegung durch die Inves­toren, die bei immer höherer Ver­schuldung und immer weniger Puffer haben, um Ver­luste zu tragen. Sinkt der Wert ihres Port­folios, kommen sie unter zuneh­mendem Ver­kaufs­druck. Zunächst noch frei­willig um Gewinne zu sichern, dann immer mehr auf Druck der Kapi­tal­geber. Der berüch­tigte Margin Call.
So kann aus einer anfänglich als nur vor­über­gehend ange­se­henen Ent­wicklung ein sich selbst ver­stär­kender Abwärts­trend werden. Wie auf einer Rutschbahn wird es immer schneller und unmöglich, sich fest­zu­halten. Wir nähern uns genau diesem Punkt. 
Tech­no­lo­gie­werte ziehen nach unten
Die Tech­no­lo­gie­werte haben einen Anteil von 27 Prozent am S&P 500. Sie zogen den Markt in den letzten Monaten nach oben und sie führen ihn nun nach unten. Dabei beginnt der Absturz aus durchaus stra­to­sphä­ri­schen Höhen. Laut Ana­lysten der Société Générale ist die Markt­ka­pi­ta­li­sierung des Nasdaq 100 relativ zum US-BIP inzwi­schen höher als während des Dotcom-Booms.
Wie an dieser Stelle vor zwei Wochen dis­ku­tiert, gibt es viel­fältige Warn­in­di­ka­toren aus dem Tech­be­reich. Seither sind diese nicht weniger geworden, sondern eher mehr:

  • Immer offen­sicht­licher wird, dass Tesla nicht in der Lage ist, die Seri­en­pro­duktion des Models 3 in den Griff zu bekommen. Im letzten Jahr machte das Unter­nehmen bei zwölf Mil­li­arden Umsatz rund 3,5 Mil­li­arden US-Dollar Verlust. Die Net­to­schulden belaufen sich auf neun Mil­li­arden US-Dollar. Trotzdem rissen die Inves­toren dem Unter­nehmen bis vor Kurzem die Anleihen aus der Hand. Jetzt dreht der Wind: Die bis 2025 lau­fende Anleihe mit einem Coupon von 5,3 Prozent ist im März abge­stürzt. Selbst bei einem Kurs von 87 Prozent wider­spiegelt die Anleihe noch immer den Opti­mismus der Inves­toren. Ich denke, die Wahr­schein­lichkeit, dass Tesla in sieben Jahren die Anleihe tilgt und bis dahin den Zins­zah­lungen nach­kommt, ist gering. Alleine in diesem Jahr muss das Unter­nehmen weitere 2 zwei Mil­li­arden US-Dollar auf­nehmen, um eine Runde wei­ter­zu­kommen. Nicht alle glauben daran, ist doch die Aktie bei den Short-Sellern (die auf fal­lende Akti­en­kurse wetten) sehr beliebt. 
  • Facebook sieht sich derweil immer grö­ßerem öffent­lichen Druck aus­ge­setzt. Da mag es die Ame­ri­kaner (zu Recht) herzlich wenig jucken, wenn Die Grünen in Deutschland eine Zer­schlagung von Facebook fordern. Härter trifft es das Unter­nehmen und die anderen Daten­kon­zerne, dass zunehmend eine härtere Gangart bei Regu­lierung und Best­steuerung ein­ge­fordert wird und zwar bis weit in wirt­schafts­freund­liche Kreise hinein. Auch die Idee, die Down­load­ge­schwin­digkeit für diese Unter­nehmen zu senken, um sie so zu grö­ßerer Koope­ration beim Daten­schutz zu zwingen, hätte erheb­liche Kon­se­quenzen für Geschäfts­mo­delle und Profitabilität.
  • Dass Amazon direkt in den Fokus der Kritik des US-Prä­si­denten geraten ist, weil dieser die Bericht­erstattung der Washington Post miss­billigt, mag als nur tem­po­räres Problem gesehen werden. Ein Unter­nehmen, welches steu­erlich bevorzugt wird und zugleich seinen enormen Daten­schatz dazu ver­wendet, in immer neue Bereiche vor­zu­dringen, wo es ohne jeg­liche Not­wen­digkeit Gewinn zu erzielen, rasch Markt­an­teile gewinnt, muss einer stär­keren Regu­lierung unter­worfen werden. Die Öffnung des Daten­schatzes für andere Anbieter und Wett­be­werber ist da eine richtige Idee. So wie in Deutschland die Ver­si­cherer ihre Daten auch klei­neren Wett­be­werbern zur Ver­fügung stellen müssen. Ohne dies ist kein Wett­bewerb denkbar. 

Vieles deutet darauf hin, dass sich das Klima für die Tech­no­lo­gie­firmen dau­erhaft ver­schlechtert. Kommt dazu noch die reale Gefahr eines aus­ge­machten Han­dels­krieges, haben wir die Aus­sicht auf fal­lende Gewinne und ängst­li­chere Märkte.
Lang­frist­zinsen sinken wieder
Was die Profis erkannt haben. So herrscht zwar noch die Meinung vor, dass die US-Fed die geplanten Zins­er­hö­hungen durch­zieht, was die kurz­fris­tigen Zinsen nach oben getrieben hat. Die lang­fris­tigen Zinsen, gemessen an US-Staats­an­leihen, sind im März jedoch deutlich gesunken. Die Kurse der Anleihen also gestiegen. 
Vor­der­gründig ist das eine gute Nach­richt, schließlich ver­trägt unsere über­schuldete Welt keine höheren Zinsen. Es könnte aber auch das Signal dafür sein, dass die Inves­toren mit einer erneuten Rezession und Tur­bu­lenzen an den Märkten rechnen. Rut­schen die Börsen nämlich weiter, dürften wir vor einer erneuten Finanz­krise stehen, haben wir doch in den letzten zehn Jahren nicht wirklich etwas an den Grund­ur­sachen geändert. 
Im Gegenteil: Die Schulden sind deutlich höher und die Kri­sen­an­fäl­ligkeit damit ent­spre­chend auch. (Das Märchen von der bewäl­tigten Finanz­krise)
Kommt es zu einer neuen Krise, wirkt diese erst mal defla­tionär: Die Preise von prak­tisch allen Assets kommen unter Druck. Der beste Flucht­punkt sind dann die Anleihen erst­klas­siger Schuldner ohne Aus­fall­risiko. Zwar mag man an der Kre­dit­wür­digkeit des US-Staates (und ange­sichts der demo­gra­fi­schen Ent­wicklung und der ver­deckten Ver­bind­lich­keiten für Rente und Euro-„Rettung“ auch des Deut­schen!) zu Recht zweifeln. Kurz­fristig sind die Anleihen dennoch der beste Park­platz für Vermögen. 
Rasch wären die Sorgen vor stei­gender Inflation und stei­genden Zinsen vergessen. 
End­spiel für die Notenbanken
Die Noten­banken sind gefordert, erneut Welt­fi­nanz­system und Welt­wirt­schaft zu retten. Dabei ist es höchste Zeit, dass sie sich endlich ein­ge­stehen, dass sie mit ihrer Politik kläglich gescheitert sind: Seit Jahren out­per­formen die Assets, die eher von Deflation pro­fi­tieren, dabei wollen die Noten­banken doch offi­ziell die Infla­ti­onsrate nach oben treiben. Seit Jahren bekämpfen sie Krisen, die aus zu hoher Ver­schuldung resul­tieren mit der Erleich­terung wei­terer Schul­den­auf­nahme. Seit Jahren befördern sie damit die schlei­chende „Zom­bi­fi­zierung“ unserer Wirt­schaft, was zu immer gerin­geren Wachs­tums­raten führt und damit die Schul­den­pro­bleme weiter ver­schärft.
Dies wird Draghi und Co. nicht daran hindern, erneut in den geld­po­li­ti­schen Gift­schrank zu greifen. Wie bereit­willig sie das tun werden, kann man schon aus der Tat­sache erahnen, dass die EZB bereits im März ihre Käufe von Unter­neh­mens­an­leihen aus­ge­weitet hat. Dass die Bilanz der EZB mitt­ler­weile mehr als 40 Prozent des Euro­zonen-BIP aus­macht, stört die Noten­banker auch nicht. Auch in Zukunft gilt „wha­tever it takes“. 
Aller­dings erst nachdem es so deutlich brennt, dass die Noten­banker eine gute Begründung haben, die Geld­schleusen wie noch nie zuvor zu öffnen. Bis zu diesem Zeit­punkt heißt es: Unter­ge­wichtung bei Aktien und Tro­cken­halten des Pulvers auf einem sicheren Parkplatz. 


Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com