Marx: So so, der Kapi­ta­lismus geht zugrunde

Einige Leser haben mich auf diesen Kom­mentar von Henrik Müller hin­ge­wiesen und gebeten, dass auch ich meine Meinung dazu abgebe. Nun haben wir es also mit Marx zu tun und können auch hier nicht so einfach über den runden Geburtstag hinweggehen.
Es ist ja schon witzig, dass aus­ge­rechnet China eine neue Statue schenkt. Denn wo bitte ist denn China noch kom­mu­nis­tisch? Da passt es schon besser, das Juncker die Festrede hält. Denn die EU ist sicherlich auch dem Weg in einen büro­kra­ti­schen Mons­ter­staat – wobei auch hier ver­mutlich Marx nicht so ganz happy gewesen wäre.
Ich für meinen Teil erinnere daran, dass Marx auch nicht so richtig ver­standen hat, wie Kapi­ta­lismus funk­tio­niert. Und wer es nicht ver­steht, kann es auch nicht ver­ändern. Bzw. natürlich kann er es ver­ändern, aller­dings dann nicht so gut.
Deshalb emp­fehle ich an dieser Stelle die Serie zur Eigen­tums­öko­nomik und die Dis­kussion zum Debitismus: 

Schulden sind gut – Eigen­tums­öko­nomik I
Debi­tismus: Von der zwangs­läu­figen Krise (I)

Hinzu kommt, dass wir es eben nicht mit einer Krise des „Kapi­ta­lismus“ zu tun haben, sondern mit einer Krise des poli­tisch ent­ar­teten Systems, welches Geld­schöpfung pri­va­ti­siert und die Risiken sozia­li­siert hat. Doch dazu später mehr. Hier erst mal der Kom­mentar von Müller: 
  • „In gewisser Weise war Karl Marx ein Bewun­derer des Kapi­ta­lismus. Dieses Wirt­schafts­system habe „mas­sen­haftere und kolos­salere Pro­duk­ti­ons­kräfte geschaffen, als alle ver­gan­genen Gene­ra­tionen zusammen. Unter­jo­chung der Natur­kräfte, Maschi­nerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampf­schiff­fahrt, Eisen­bahnen, elek­trische Tele­graphen, Urbar­ma­chung ganzer Welt­teile, Schiff­bar­ma­chung der Flüsse, ganze aus dem Boden her­vor­ge­stampfte Bevöl­ke­rungen – welch frü­heres Jahr­hundert ahnte, dass solche Pro­duk­ti­ons­kräfte im Schoß der gesell­schaft­lichen Arbeit schlummerten“.“
    Stelter: kein Wirt­schafts­system hat so viele Men­schen aus der Armut geholt. Es hat aber einen Nachteil, es basiert nämlich auf Druck. Kein Wunder, dass es so vielen Men­schen nicht schmeckt!
  • „Marx war – und ist – auf­regend, weil er Klas­sen­kampf und Umsturz pro­phe­zeite. Als Ökonom ging es ihm aber vor allem darum her­aus­zu­ar­beiten, welche Mecha­nismen zu seiner Zeit die Welt ver­än­derten.“
    – Stelter: er beob­achtete den Wandel, den schon zuvor die Römer durch­ge­macht hatten. Nur noch verstärkter.
  • „Wie jeder gute Ökonom beschäf­tigte sich Marx mit den Knapp­heits­ver­hält­nissen und Pro­blemen seiner Zeit. Knapp war damals Kapital. Unmengen davon waren nötig, um die Indus­tria­li­sierung und das rapide Wachstum der Städte vor­an­zu­treiben. Grö­ßen­vor­teile der Pro­duktion sorgten für das Ent­stehen großer, anonymer Ein­heiten: Fabriken, Bal­lungs­räume, Natio­nal­staaten. Men­schen hin­gegen waren damals ein reichlich vor­han­dener Pro­duk­ti­ons­faktor; die Löhne waren ent­spre­chend niedrig und die Lebens­be­din­gungen häufig erbärmlich. Wäh­rend­dessen erzielte der knappe Faktor Kapital hohe Ren­diten.“
    – Stelter: es war eine Kom­bi­nation aus Inno­vation und Pro­duk­ti­vi­täts­ge­winnen, die Kapital erfor­derlich machten aber auch zu ent­spre­chenden Erträgen führten. Das gilt bis heute, ist aber durch den „Finanz­ka­pi­ta­lismus“ überlagert.„In der Folge hat der Mar­xismus geholfen, nicht nur den jäm­mer­lichen real­exis­tie­renden Sozia­lismus her­vor­zu­bringen– den man Marx selbst posthum nicht ankreiden kann -, sondern auch den Kapi­ta­lismus zu refor­mieren. In Deutschland lau­teten die Ant­worten: Sozi­al­staat(seit Otto von Bis­marck) und Ord­nungs­po­litik (popu­la­ri­siert durch Ludwig Erhard).“ – bto: ich denke, wir hätten das auch ohne Marx bekommen, dennoch will ich seinen Beitrag gar nicht schmälern.
  • „Öko­no­misch betrachtet spielt Kapital eine immer geringere Rolle. Die wert­vollsten Unter­nehmen der Welt wie Alphabet und Apple stützen sich nicht mehr vor allem auf phy­sische „Pro­duk­ti­ons­mittel“(Gebäude, Fabriken, Maschinen), sondern auf imma­te­rielle Werte: auf Daten, Infor­mation, Wissen, Content, Krea­ti­vität, Image. Sie sind viel mehr wert, als sie an Assets in ihren Bilanzen aus­weisen. Kapital im klas­si­schen Sinn ist nicht mehr knapp, deshalb ist sein Preis – der Zins, die Rendite – ent­spre­chend niedrig.“
    – Stelter: lasst uns die zwei Punkte trennen. Zum einen ist es richtig, dass einige Unter­nehmen in der digi­talen Welt mit wenig phy­si­schen Anlagen arbeiten, dennoch hat der Aufbau der heu­tigen Markt­po­sition sehr viel Geld gekostet. Ande­rer­seits erzielen die Unter­nehmen Rekord­margen, die man sich so früher nur bei Mono­polen vor­stellen konnte. Und in der Tat bewegen wir uns in einigen Bereichen in Richtung Monopol (Google, Facebook), weshalb es ein Ver­sagen der Auf­sichts­be­hörden ist und kein Beweis dafür, dass man heute kein Kapital braucht. Zum anderen kann man daraus nicht schließen, dass hier die Ursache für den Überhang an Geld und damit die tiefen Zinsen zu sehen ist. Grund dafür dürfte neben der Demo­grafie auch die jahr­zehn­te­lange Politik der Geld­schöpfung sein, die noch lange nicht zu ende ist.
  • „Wir erleben eine Wende hin zu einem „Kapi­ta­lismus ohne Kapital“, wie die bri­ti­schen Öko­nomen Jonathan Haskel und Stian Westlake for­mu­lieren. Und der bringt seine ganz eigenen Mecha­nismen, Knapp­heiten und Kon­flikte hervor.“
    – Stelter: das müssen wir noch sehen.
  • „Nehmen Sie diesen Text. Stünde er in einer gedruckten Zeitung, hätte er Eigen­schaften wie eine „Waare“. In digi­taler Form aber können Sie ihn lesen, während andere Leute zur gleichen Zeit das­selbe tun; Sie nutzen ihn weder exklusiv noch ver­brauchen Sie ihn. Sein Wert mag sogar steigen, wenn viele Leute ihn lesen, denn dann bietet er umso eher Gesprächs­stoff. Der Preis dieses Textes jedoch ist Null; Sie haben keinen Cent dafür bezahlt.“
    – Stelter: ich nehme an, dass Henrik Müller nicht umsonst schreibt. Dass Spiegel Online ihn ver­schenkt denke ich nicht. Zwar könnten sie eine „Bezahl­schranke“ ein­führen aber auch so bekommt der Verlag Wer­be­gelder für die Klicks.
  • „Warum? Weil die „Pro­duktion“ jeder wei­teren Einheit – jeder weitere Abruf – quasi keine Kosten ver­ur­sacht. Heutige Öko­nomen würden sagen: Die Grenz­kosten sind Null. In der „Null-Grenz­kosten-Gesell­schaft“ (US-Ökonom Jeremy Rifkin) sind die klas­si­schen Mecha­nismen des Kapi­ta­lismus außer Kraft gesetzt.“
    – Stelter: was ein anderer Punkt ist, wir haben das ja bereits aus­führlich dis­ku­tiert. Es sind aber fak­tisch immer Cha­rak­te­ristika von Mono­pol­ge­schäften, die sich hier niederschlagen.
  • „Die Aus­wir­kungen dürften ähnlich radikal sein wie bei der Indus­tria­li­sierung im 19. Jahr­hundert – und die Ant­worten alles andere als einfach. (…) Dem Staat wird eine neue und noch pro­mi­nentere Rolle zuwachsen als bisher. Denn wir bewegen uns auf eine Welt zu, in der „öffent­liche Güter“ und „externe Effekte“ all­ge­gen­wärtig sind.“
    – Stelter: also, was die Pro­bleme mit diesen Unter­nehmen betrifft, hat der Staat diese Rolle schon und versagt. Stichwort: Wett­be­werbs­kon­trolle. Was die anderen Pro­bleme betrifft, also vor allem den Über­schuss der Erspar­nisse, so ist das eher die Folge staat­licher Fehl­ein­griffe und könnten auch ohne neue Theorie gelöst werden.
  • „Wenn viele Preise gegen Null sinken, gibt es unter nor­malen Markt­be­din­gungen kein pri­vat­wirt­schaft­liches Angebot. Wer inves­tiert schon, wenn sich damit kaum noch Erlöse erzielen lassen? Möglich, dass der Staat nicht umhin­kommt, viele Güter auf Dauer zu sub­ven­tio­nieren – oder Markt­struk­turen zu schaffen, die den Wett­bewerb so weit ein­schränken, dass dennoch Erlöse erzielbar sind.“
    – Stelter: wenn es eine Nach­frage dafür gibt, wird es auch einen Preis geben. Kosten ist ungleich Preis.
  • „Staat­liche Regu­lierer sind gefragt, wo neue Monopole ent­stehen. Zum Bei­spiel Google: Der höchst wert­volle Service einer Such­ma­schine mag keinen Preis haben, aber er ist nicht umsonst. Finan­ziert wird er durch die Daten der Nutzer, die der Konzern wie­derum wirt­schaftlich nutzen kann. Und zwar umso besser, je größer das Unter­nehmen ist. Andere Unter­nehmen, bei­spiels­weise die Anbieter künf­tiger Mobi­li­täts­ser­vices, werden ähnlich vorgehen..“
    – Stelter: was daran ist neu? Es wäre höchste Zeit, dass der Regu­lierer aktiv wird.
  • „Viele Öko­nomen ver­muten inzwi­schen, dass der gemessene Fort­schritt (die Pro­duk­ti­vität) auch deshalb lahmt, weil auf vielen Märkten die Inten­sität des Wett­be­werbsabnimmt. Wie hält man den Fort­schritt unter diesen Bedin­gungen am Laufen? Lohnt es sich noch, etwas zu erlernen oder Neues zu ersinnen, wenn daraus keine Ein­kom­mens­vor­teile mehr erwachsen?“
    – Stelter: was hindert den Staat heute daran, dies zu tun?
  • „Durch die Digi­ta­li­sierung wird Wissenzunehmend unab­hängig vom Men­schen verfüg‑, kopier- und ver­breitbar. Woher aber kommen künftig die Ein­kommen, wenn Wissen und Können dank Digi­ta­li­sierung frei ver­fügbar sind? Um was machen die Leute, die durch den Wandel zum imma­te­ri­ellen Kapi­ta­lismus ihren Job verlieren?“
    – Stelter: das ist eine berech­tigte Frage, weshalb man eben über die Migra­ti­ons­po­litik nach­denken muss! Schrump­fende Gesell­schaften sind da im Vorteil.
  • „Auch Energie dürfte immer bil­liger werden. Denn ein immer grö­ßerer Teil der Ener­gie­ver­sorgung basiert auf Sonne und Wind, auf freien Gütern also, die keinen Preis haben, weshalb schon heute der Groß­han­dels­preis an der Strom­börse an win­digen Son­nen­tagen abschmiert. Wenn Energie im Preis ver­fällt, sinken auch die Trans­port­kosten des Land­ver­kehrs. Was bedeutet das für die Sied­lungs- und Pro­duk­ti­ons­struk­turen? Werden die Städte noch rascher wachsen? Und was wird dann aus ver­ödeten Landstrichen?“
    – Stelter: naja. Es kostet schon etwas, die Tech­no­logie, das Netz, die Umstellung der Infra­struktur. Ich sehe es nicht ganz so optimistisch.
Ich denke Müller beschreibt gut, was sich im Umfeld ändert. Auf­hänger ist Marx, aber mit dem haben die Ände­rungen recht wenig zu tun. Pro­ble­ma­ti­scher ist, dass er die wahren Ursachen für den zu befürch­tenden Nie­dergang des Kapi­ta­lismus nicht benennt: das Staats­ver­sagen bei der Regu­lierung und die Ent­fernung von den zutiefst kapi­ta­lis­ti­schen Grundsatz, dass man für seine Schulden gerade stehen muss. Die Ret­tungs­ga­rantie für Banken und für das gesamte System durch die Noten­banken hat uns in die Krise geführt. 

Spiegel Online: „Der Kapi­ta­lismus geht zugrunde“, 29. April 2018


Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com