Aus­rufung des Not­standes wg. Miss­ernten? SPD gegen Ent­schä­digung, nimmt Bau­ern­sterben in Kauf

Der Bau­ern­verband fordert die Aus­rufung des natio­nalen Not­standes wegen der kata­stro­phalen Miss­ernte nach der langen, extrem warmen Dür­re­pe­riode. Man rechne mit der schlech­testen Ernte des Jahr­hun­derts. Der unge­wöhnlich heiße und tro­ckene Sommer hatte bei­spiels­weise in Sachsen, Bran­denburg, Meck­lenburg-Vor­pommern und Nie­der­sachsen, aber auch in vielen anderen Land­strichen für Miss­ernten gesorgt. Eigentlich ist bis auf Regionen ganz unten im Süden das ganze Bun­des­gebiet betroffen.
Schon Ende Juni mussten Bauern not­reifes Getreide ein­bringen, das nur noch als Fut­ter­mittel brauchbar ist. Fast überall sind die Getreide-Ähren nur zur Hälfte oder einem Drittel mit Körnern gefüllt, und die sind meistens klein und trocken. In manchen Regionen sind die Ähren so gut wie leer, und auf den Getrei­de­feldern ist nur Stroh her­an­ge­wachsen. Getreide, Raps, Grün­gemüse, Grün­futter, Mais und Kar­toffeln sind von groß­flä­chigen Aus­fällen – teil­weise Total­aus­fällen – bedroht. Die Tiere leiden nicht nur unter der Hitze. Es droht Unter­ver­sorgung, weil es kaum Gras und kein Fut­terheu gibt. Die Weiden, auf denen man zweimal im Jahr Heu macht für die Tiere, waren ab Juni nur noch tro­ckenes Stroh ohne Nährwert. Es wächst auch kein neues Gras nach.
In Vor­arlberg (Öster­reich) können von den 30.000 Kühen auf den Almen etwa 10 Prozent nur noch mit Mühe ver­sorgt werden. Man muss mit Tank­wagen auf die Alm hin­auf­fahren, um den Tieren Wasser zu bringen. Jede zweite Alm leidet an Was­ser­knappheit. Teil­weise wird das Wasser auf die Almen geflogen, von der Feu­erwehr und von Milch­wagen gebracht. Es hilft auch nichts, die Tiere ins Tal zu bringen, auch dort ist das Futter knapp. So schlimm war es zuletzt 1976, sagen die Alm­bauern. Die Bach­betten sind teil­weise restlos ausgetrocknet.
In der Schweiz sieht es nicht besser aus. Bauern müssen zu dras­ti­schen Maß­nahmen schreiten und Kühe schlachten. Auch in Deutschland bringen die Bauern ver­mehrt Kühe zur Schlachtung. Das führt zu einem kurz­fris­tigen Über­an­gebot und die Bauern haben deutlich weniger Gewinn.
Im Land­wirt­schafts­mi­nis­terium soll es am heu­tigen Dienstag einen “Dür­re­gipfel” von Bund und Ländern geben, auf dem beraten wird, wie mit den erheb­lichen Ern­te­aus­fällen wegen der anhal­tenden Tro­ckenheit umge­gangen werden soll. Mehr als eine vor­läufige Bestands­auf­nahme sei aber nicht möglich.
Am Mittwoch will Land­wirt­schafts­mi­nis­terin Klöckner im Bun­des­ka­binett weitere Bespre­chungen abhalten. Doch eine Ent­scheidung, ob und wenn ja, in welcher Höhe es eine Ent­schä­digung geben könne, soll erst Ende August ent­schieden werden, denn dann erst liege der fertige Ern­te­be­richt vor. Außerdem sei es üblich, dass bei extremen Wet­ter­ereig­nissen die Bun­des­länder zuständig sind. Es ist also fraglich, ob der Bund über­haupt etwas bezahlen wird.
Schon gestern, am Montag, for­derte Bau­ern­prä­sident Joachim Rukwied für die geschä­digten Bauern finan­zielle Unter­stützung von Bund und Ländern von einer Mil­liarde Euro. “Eine Mil­liarde wäre wün­schenswert, um die Aus­fälle aus­zu­gleichen”, sagte Rukwied der Presse. Die Mil­liarde ist dabei nur eine vor­sichtige Schätzung, der gesamte Schaden werde deutlich mehr betragen.
“Der erste Schritt dahin muss sein, dass der Not­stand erklärt wird und so die gesetz­liche Grundlage geschaffen wird. Im zweiten Schritt müssen Bund und Länder ein Budget zur Ver­fügung stellen”, schlug Rukwied vor. Die land­wirt­schaft­liche Betriebe, deren Ern­te­er­träge um mehr als 30 Prozent unter dem Schnitt der letzten Jahre liegen, brauchen sofortige Hilfe um nicht viel­leicht sogar ihre Existenz zu ver­lieren, nicht erst im Herbst. Die Land­wirte haben ein ganzes Jahr in ihre Ernte inves­tiert und gehen so gut wie leer aus. Der Bau­ern­verband setzt sich zuvör­derst für diese Betriebe ein. Zudem hält der Verband eine steu­er­freie “Risi­ko­aus­gleichs­rücklage” für dringend nötig, damit die Bauern für schwierige Jahre vor­sorgen könnten.
“Es ist zwingend erfor­derlich, dass Deutschland stabile länd­liche Räume hat mit sta­bilen Betrieben”, sagte Rukwied. Ern­te­ein­bußen von 50 bis 70 Prozent seien für viele Betriebe absolut existenzbedrohend.
Gitta Con­nemann, die für Land­wirt­schaft zuständige Vize­chefin der Unions-Bun­des­tags­fraktion, unter­stützt den Vorstoß für eine finan­zielle Unter­stützung nach­drücklich: “Finanz­hilfen sind nötig. Gerade viele der kleinen und mitt­leren Betriebe haben sich von den Krisen der letzten Jahre kaum erholt”, die Situation sei zum Teil dra­ma­tisch, vor allem in Nord- und Ost­deutschland: “Die Lage ist ernst, es geht um Exis­tenzen. Den Betrieben geht die Luft aus. Sie haben keine Rück­lagen mehr. Ihnen fehlt Liqui­dität.“ Sie betont, die Situation sei dra­ma­tisch: „Die Luft brennt im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht um Existenzen“
Die SPD hat aber Bedenken: Sie warnt vor Hilfe für die Bauern und sieht die Gefahr eines wirt­schafts­po­li­ti­schen Prä­ze­denz­falls. Es scheint, als habe man in der SPD keine Vor­stellung davon, dass ein Bau­ernhof eine ganz andere Art von „Unter­nehmen“ ist als eine normale Firma. Sollte nämlich eine größere Anzahl land­wirt­schaft­licher Betriebe wegen der Miss­ernte auf­geben müssen, wäre der „Prä­ze­denzfall“ eines grö­ßeren Höfesterbens noch wesentlich dra­ma­ti­scher als eine Nothilfe:
“Moderne Land­wirt­schaft begreift sich als Unter­nehmer in unserem Land”, sagte der agrar­po­li­tische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Spiering. Wie bei jedem Betrieb seien damit Risiken ver­bunden. “Wenn man der Land­wirt­schaft die För­der­ku­lisse zur Ver­fügung stellt, müssen wir in Zukunft auch anderen kleinen und mit­tel­stän­di­schen Betrieben, die als Grund­pfeiler unserer Wirt­schaft gelten, genauso helfen”, so der SPD-Politiker.
Viel­leicht wäre es für den agrar­po­li­ti­schen Sprecher eine Über­legung wert, in Betracht zu ziehen, dass unsere Land­wirte unsere Ernährung sicher­stellen und eine Knappheit an Feld­früchten nicht nur die wei­ter­ver­ar­bei­tenden Betriebe in Pro­bleme bringen, sondern auch die Preise für Lebens­mittel nach oben treiben werden, was im Anschluss gerade die finan­ziell schlecht gestellten Men­schen triff, wie zum Bei­spiel Rentner mit Renten unter Sozi­al­hil­fe­niveau. Jetzt schon gibt es Mel­dungen, dass die schlechte Kar­tof­fel­ernte die Preise nach oben treiben wird und die Pommes teurer und kürzer werden. Was sich noch ganz lustig anhört, wird in Summa für die Bevöl­kerung weniger witzig sein.
Durch Importe wird sich die Malaise auch kaum beheben lassen, da unsere Nach­bar­länder genauso, wenn nicht noch schlimmer betroffen sind. Kar­toffeln aus Nicht-EU-Ländern sind nicht nur wesentlich teurer, sie unter­liegen auch strengen Bestim­mungen gegen die Kartoffelkrankheit.
Ange­sichts der recht frei­zü­gigen Vergabe von Mil­li­arden Steu­er­geldern für alle mög­lichen, bis­weilen auch äußerst ent­behr­lichen Dinge, kann man kaum glauben, dass ein agrar­po­li­ti­scher Sprecher der SPD von so wenig Sach­ver­stand kon­ta­mi­niert sein kann, tat­sächlich ein Höfesterben in Kauf zu nehmen, um keinen Prä­ze­denzfall zu schaffen.
Damit schafft man ein ein sehr lang­fris­tiges Problem, was sich mög­li­cher­weise noch weiter ver­schärft. Ein mit­tel­loser Hof ist sozu­sagen tot. Er kann nicht im nächsten Jahr wieder pro­du­zieren, weil es kein Ein­kommen gegeben hatt und keine Rück­lagen mehr da sind, um Saatgut zu kaufen und mona­telang davon zu leben und weiter zu arbeiten. Im Regelfall muss der Hof dann auf­ge­geben werden und seine Leistung, die Bevöl­kerung zu ernähren, ent­fällt auf Dauer. Nach­folger gibt es kaum, denn man wird nicht einfach über Nacht Bauer. Der Bauer muss seine Böden kennen, die typi­schen Gege­ben­heiten, die seine Familie seit Gene­ra­tionen genau ein­zu­schätzen weiß und die Anzeichen kennt. Zum Bei­spiel ist nicht jede Wiese gleich der anderen und nicht jede Wiese ist zu jeder Zeit gut für die Kühe. Die Heumaht muß zum rich­tigen Zeit­punkt erfolgen, damit das Gras z.B. nicht zu viel oder zu wenig Pro­teine enthält. Sind giftige Blumen, wie das Sankt-Jakobs-Kreuz-Kraut in der Wiese auf­ge­taucht, muss man das bemerken, erkennen und her­aus­reißen, wenn man seinen Tier­be­stand schützen will.
Ein Höfesterben der klei­neren, tra­di­tio­nellen Fami­li­en­be­triebe wäre eine Kata­strophe. Gerade diese Fami­li­en­be­triebe bilden noch das halbwegs gesunde Rückgrat einer nach­hal­tigen Land­wirt­schaft in Europa. Eigentlich sollen ja gerade diese tra­di­tio­nellen Fami­li­en­be­triebe gefördert und geschützt werden. Angeblich will man ja die Ent­wicklung hin zu den großen Agrar­firmen auf­halten. Aber genau das wird begünstigt, dreht man den kleinen Höfen die Luft ab.
Das bedeutet nämlich eine weitere Kon­zen­tration der Lebens­mit­tel­er­zeugung auf immer weniger Groß­be­triebe, und damit eine Risi­ko­er­höhung. Die großen Agrar­be­triebe könnten ihre Kapa­zi­täten zwar erweitern, wenn auch nicht von jetzt auf gleich. Sollten aber durch Extrem­wet­ter­lagen, Schäd­lings­befall oder Tier­krank­heiten solche Groß­be­triebe ins Strau­cheln geraten, steht eine echte Not­si­tuation für die Bevöl­kerung ins Haus. Da reichen schon mehr als 48 Stunden Strom­ausfall und die Apo­ka­lypse ist da. Diese Groß­be­triebe funk­tio­nieren nur mit auf­wän­diger Technik, com­pu­ter­ge­steuert und mit wenig Per­sonal. Ohne Technik geht da gar nichts. Die Belüf­tungs­systeme der Mega-Tier­ställe dürfen nicht aus­fallen, sonst ersticken die Tiere. Die Betriebe haben aber in der Regel nur Die­sel­vorräte für die Not­strom­ag­gregate für zwei oder drei Tage. Was geschieht, wenn im worst case sce­nario 2000 Kühe und mehr tot im Stall liegen?
Daher sollte es das Ziel sein, so viele kleinere Betriebe, wie möglich zu erhalten, aus Umwelt- und Gesund­heits­gründen solche, die tra­di­tionell arbeiten und nach­haltig wirt­schaften. Die Nach­teile der groß­in­dus­tri­ellen Land­wirt­schaft, die ohne insek­ten­ver­nich­tende Gifte nicht aus­kommt, sind hin­rei­chend bekannt.
In den fami­li­en­be­trie­benen Höfen geht die Arbeit zur Not auch von Hand und die Per­so­nal­decke ist nicht so dünn. Da kann auch impro­vi­siert werden. Diese Höfe setzen in der Regel auch deutlich weniger Pes­tizide und Gen­technik ein. Fast alle Bio­bau­ernhöfe sind Fami­li­enhöfe. Diese jetzt einfach sterben zu lassen um keinen Prä­ze­denzfall zu schaffen, ist Selbstmord aus gesund­heit­lichen Gründen.
Es ist bis­weilen sinnvoll, auch die Kette der sich erge­benden Kon­se­quenzen seines Han­delns zu bedenken.
Grund­sätzlich sieht der agrar­po­li­tische Sprecher der SPD, Herr Spiering, aber schon irgendwie Hand­lungs­bedarf: Natürlich könne man in Aus­nah­me­si­tua­tionen kurz­fristig helfen, “dem grund­sätz­lichen Pro­blemen wird man damit aber nicht gerecht”. Anstelle kurz­fris­tiger Hilfen müsse die Politik in eine zukunfts­ori­en­tierte Acker­bau­stra­tegie inves­tieren. Eine schöne For­derung, die schon lange existiert.