Dank neuer sozia­lis­tische Regierung: Spanien lebt wieder über seine Verhältnisse

Zum ersten Mal seit der Finanz­krise hat die spa­nische Regierung im letzten Jahr die 3 Prozent-Defi­zit­grenze, die im Sta­bi­litäts- und Wachs­tumspakt eta­bliert wurde, (fast) ein­ge­halten. Jetzt aber meint die neue, sozia­lis­tische Regierung, es sei nun an der Zeit, den Kurs zu ändern. Sie ver­tritt die Sicht­weise, dass nach langen Jahren des Sparens nun über eine Stei­gerung der Staats­aus­gaben nach­denken zu sei.
(Von Prof. Dr. Philipp Bagus)
Tat­sächlich hat bereits die vor­herige Regierung eine Erhöhung der öffent­lichen Pen­sionen um 1,6 Prozent ver­kündet. Das ist höchst pro­ble­ma­tisch, weil die demo­gra­phische Ent­wicklung das öffent­liche Pen­si­ons­system lang­fristig untragbar werden lässt. Die neue Regierung möchte dieses System erhalten, indem sie die Steuern aggressiv erhöht. Darüber hinaus will sie Teile der Arbeits­markt­reform, die 2012 beschlossen wurde und mit einer sub­stan­ti­ellen Ver­rin­gerung der Arbeits­lo­sigkeit ein­herging, rück­gängig machen. Und sie plant, den Min­destlohn zu erhöhen.
Die Sicht­weise Regierung ist höchst bedenklich, weil es tat­sächlich nicht der Rea­lität ent­spricht, dass der Staat nach der Finanz­krise gespart hat. Von höchster Bedeutung ist, dass sich die Staats­fi­nanzen nicht sta­bi­li­siert haben.

Spa­ni­sches Staats­de­fizit in % des BIPs, Quelle: Eurostat

Erstens wurde der Sta­bi­litäts- und Wachs­tumspakt 2012 ver­schärft und um den Euro­päi­schen Fis­kalpakt erweitert. Zuvor konnten Regie­rungen ein Staats­de­fizit von bis zu 3 Prozent auch während Wirt­schafts­auf­schwüngen anhäufen. Wenn aber eine Rezession eintrat, konnte die Regierung die Schuld für noch höhere Defizite dann einfach auf die außer­ge­wöhnlich ungüns­tigen Rah­men­be­din­gungen schieben. Tat­sächlich haben sämt­liche Staaten in der Eurozone am Höhe­punkt der Finanz­krise die 3 Prozent-Defi­zit­grenze über­schritten. Daher ist die Idee des Fis­kal­pakts, dass die Regie­rungen über den Verlauf eines Kon­junk­tur­zyklus ein aus­ge­gli­chenes Budget erzielen. Während län­geren Rezes­sionen können Defizite bis zu 3 Prozent erreicht werden, aber diese müssen durch Bud­get­über­schüsse in guten Zeiten wieder aus­ge­glichen werden. In nor­malen Zeiten sollte das Budget aus­ge­glichen sein. Im Fis­kalpakt wurde fest­gelegt, dass ein Bud­get­de­fizit von minus 0.5 Prozent immer noch als aus­ge­glichen gilt. Hat ein Staat einen Schul­den­stand von weniger als 60 Prozent des Brut­to­in­land­pro­dukts (BIP), gilt sogar ein Budget mit einem Defizit von minus 1 Prozent als aus­ge­glichen. Der Fis­kalpakt enthält auch eine Schul­den­bremse. Hat ein Staat höhere Schulden als 60 Prozent seines BIPs ange­häuft, sollte die Regierung diesen erhöhten Schul­den­stand um 5 Prozent pro Jahr redu­zieren. Spanien hätte also 2017 seine Schul­den­quote um 1.9 Prozent ((99%-60%)*5%) redu­zieren müssen, was nicht erreicht wurde, da die Staats­schul­den­quote nur um 0.7 Prozent gefallen ist.

Da Spanien eine der am schnellsten wach­senden Volks­wirt­schaften in der Eurozone ist, sollte die Regierung laut Gesetz einen Bud­get­über­schuss erzielen. Ein Defizit von 3.1 Prozent ist aus diesem Grund weder eine bemer­kens­werte Leistung noch ein Vorwand für die Erhöhung der Staats­aus­gaben. Indem man sich nicht streng an die Regeln hält und Schlupf­löcher im Fis­kalpakt aus­nützt, wird der Pakt beschädigt und wird sich zukünftig weniger gut dazu eignen, Staats­aus­gaben und Defizite zu limi­tieren. Warum sollten sich andere Regie­rungen an den Pakt halten, wenn Spanien den Pakt jetzt schon nicht erfüllt?

Spa­ni­scher Schul­den­stand in % des BIPs, Quelle: Eurostat

Zweitens hat Spanien das Defizit nicht durch das Sparen bei Staats­aus­gaben redu­ziert. Tat­sächlich war die Regierung über­haupt nicht sparsam, sondern hat seit Aus­bruch der Krise ihre Aus­gaben dras­tisch erhöht und erst 2013 auf Druck der Troika dras­tisch gekürzt, um im Gegenzug ein Hilfs­paket des ESM zu erhalten. Seitdem steigen die Staats­aus­gaben wieder an und befinden sich heute immer noch über dem nicht nach­hal­tigen Niveau von 2008, Tendenz weiter steigend.
Spanien hielt 2017 das 3 Pro­zent­limit nur auf­grund von ein­zig­ar­tigen und außer­ge­wöhn­lichen Umständen ein. Die Wirt­schaft ist in den letzten fast vier Jahren robust gewachsen. In den letzten drei Jahren übertraf das reale Wirt­schafts­wachstum stets 3 Prozent. Das bedeutet stei­gende Umsätze, Löhne und Gewinne, also höhere Steu­er­ein­nahmen. Die Regie­rungs­ein­nahmen sind mithin gestiegen und einige Regie­rungs­aus­gaben sind, auf­grund der gesun­kenen Arbeits­lo­sigkeit, zurück­ge­gangen, was auch an der neu ein­ge­führten Fle­xi­bi­lität am Arbeits­markt liegt, die nun von der neuen Regierung zur Dis­po­sition gestellt wird.
Alar­mierend ist, dass die Immo­bi­li­en­preise auf­grund der erhöhten Akti­vität wieder explo­dieren, was zu wei­teren Steu­er­ein­nahmen führt, die die Regierung gleich wieder aus­geben will. Genau wie es während der zurück­lie­genden Immo­bi­li­en­blase der Fall war. Zusätzlich erhielt die Regierung Unter­stützung von der EZB mit ihrer Null­zins­po­litik und ihrem Anlei­he­auf­kauf­program. Falls sich das Zins­niveau wieder nor­ma­li­siert, gerät die spa­nische Regierung in ernste Schwierigkeiten.

Spa­nische Regie­rungs­aus­gaben in Mil­lionen Euro, Quelle: Eurostat

Reale Wirt­schafts­wachs­tumsrate in Spanien in %, Quelle: Eurostat

Wie würden die spa­ni­schen Staats­fi­nanzen aus­sehen, wenn ein nor­males Zins­niveau herr­schen würde? Trifft man die Annahme, dass die Zinsen auf Staats­an­leihen lediglich 3 Prozent höher liegen als heute, würde sich das Bud­get­de­fizit bei einem Schul­den­stand von 98.3 Prozent des BIPs von 3.1 Prozent auf 6 Prozent nahezu verdoppeln.
Wenn Spanien das Defi­zit­limit von 3 Prozent nur in einem Null­zins­umfeld und während eines Wirt­schafts­auf­schwungs, der sich wie ein Déjà-vu der letzten Blase anfühlt, erreichen kann, muss man sich die Frage stellen, was bei einer Rezession oder bei stei­genden Zinsen pas­sieren wird. Das struk­tu­relle Defizit Spa­niens ist nach wie vor nicht tragbar. Der öffent­liche Schul­den­stand befindet sich bei fast 100 Prozent des BIP und sta­gniert trotz einer expan­die­renden Wirt­schaft. Statt darüber nach­zu­denken, wie man stei­gende Regie­rungs­ein­nahmen aus­geben kann, sollte die spa­nische Regierung diese ein­zig­artige Gele­genheit nützen, um Ordnung in die Staats­fi­nanzen zu bringen und mittels Bud­get­über­schüssen den Schul­den­stand dra­ma­tisch redu­zieren. Anstatt Steuern und Aus­gaben zu erhöhen, sollte die Regierung diese kürzen, um für den nächsten Sturm, der früher oder später aus­brechen wird, gewappnet zu sein. 

Es ist dies wohl die letzte Chance der Regierung, um ihre Finanzen nach­haltig in Ordnung zu bringen. Diese Chance wurde von der EZB und den Sparern der Eurozone, ins­be­sondere den Deut­schen, teuer erkauft. Es ist unver­ant­wortlich, sie zu verplempern.
Was wahr und not­wendig für Spanien ist, trifft auch auf andere über­schuldete Länder in der Eurozone, wie Por­tugal, Frank­reich und Italien zu. Die Reduktion von Staats­schulden während relativ „guten“ Zeiten würde den Druck auf die EZB redu­zieren, an ihrer gefähr­lichen Nied­rig­zins­po­litik fest­zu­halten, mit der sie dabei ist, die Saat für die nächste Krise zu säen. Um der Null­zins­falle zu ent­gehen, müssen die Staats­schulden so schnell wie möglich redu­ziert werden. Der Moment ist jetzt. Wenn die nächste Rezession aus­bricht, ist es zu spät.

Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Mathias Nuding für das Ludwig von Mises Institut Deutschland. Der Ori­gi­nal­beitrag mit dem Titel Rather than Paying Down Debt in Good Times, Spain Is Now Spending Even More ist am 27.6.2018 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

Philipp Bagus ist Pro­fessor für Volks­wirt­schaft an der Uni­ver­sidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen For­schungs­schwer­punkten Geld- und Kon­junk­tur­theorie ver­öf­fent­lichte er in inter­na­tio­nalen Fach­zeit­schriften wie Journal of Business Ethics, Inde­pendent Rewiew, Ame­rican Journal of Eco­nomics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden aus­ge­zeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Liber­tarian Scho­larship, dem Sir John M. Temp­leton Fel­lowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum islän­di­schen Finanz­kollaps (“Deep Freeze: Island’s Eco­nomics Col­lapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tra­gödie des Euro” erscheint in 14 Sprachen. Philipp Bagus ist ist Mit­glied des wis­sen­schaft­lichen Bei­rates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Hier Philipp Bagus auf Twitter folgen. Im Mai 2014 ist sein gemeinsam mit Andreas Mar­quart geschrie­benes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen” erschienen. Zuletzt erschienen, eben­falls gemeinsam mit Andreas Mar­quart: Wir schaffen das – alleine!