Die „kleine“ Schweiz bietet der EU die Stirn und Kommissionspräsident Jean-Claude (Ischias) Juncker ist vergrätzt. Nicht nur, dass sich in der Schweiz Widerstand gegen den UN-Migrationspakt formiert, nicht nur, dass die Schweiz die Personenfreizügigkeit an den Grenzen einschränkt, jetzt gibt es auch noch ein offenes Tauziehen um die „Kohärenzmilliarde“ und die Anerkennung der Schweizer Börsenregulierungen.
Das Problem schien Ende des letzten Jahres eigentlich ausgestanden und beigelegt. Kommissionspräsident Juncker hatte versprochen, die Anerkennung der Schweizer Börsen sei in trockenen Tüchern – man werde ein unbefristetes „institutionelles Rahmenabkommen“ miteinander unterschreiben und alles wäre gut.
Drohungen, Erpressungen, “Zwischenzeugnisse”… Kindergarten oder Europapolitik?
Nun, das ist es nicht. Das Rahmenabkommen ist noch nicht fertig abgeschlossen und Herr Kommissionspräsident ist indigniert. Es habe doch Zugeständnisse seitens der EU gegeben, dennoch verschleppe die Schweiz mit „Scheinargumenten“ und bestehe auf neuen Ausnahmen bei den Freizügigkeitsrechten von EU-Bürgern. Nun werde es keine unbefristete Anerkennung der Schweizer Börse geben. Wenn die Schweiz nicht pariert, endet die Anerkennung im Dezember 2018. Bätsch.
Die Schweizer ihrerseits sehen in den selbstverständlichen Erwartungen der EU, dass sich die Eidgenossen gefälligst wie ein EU-Mitgliedsland verhalten sollen, eine grobe Missachtung ihrer Eigenständigkeit. Insbesondere die Drohung der EU, die Anerkennung der Schweizer Börse einfach nicht mehr zu verlängern, bringt die selbstbewussten Schweizer in Harnisch und es wird offen von Erpressung gesprochen.
Brüssel verfasst alle zwei Jahre seine „Schlussfolgerungen“, eine Art Bilanz der Beziehungen zwischen EU und Drittstaaten. In diesem Zwischenzeugnis wird der Sachstand der Zusammenarbeit, Probleme, Diskussionsbedarf, Fortschritte oder Konflikte bewertet. Dieses Jahr steht diese „Schlussfolgerung“ an, und die Beziehungen mit der Schweiz werden sicherlich nicht positiv bewertet. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weigerte sich sogar, am Rande einer Asien-Konferenz in der letzten Woche, mit dem Schweizer Bundespräsidenten Alain Berset überhaupt zu sprechen.
Am 22. Oktober begab sich der Schweizer Botschafter in Brüssel, Urs Bucher, daher daher in die Höhle des Löwen. In der zuständigen EFTA-Arbeitsgruppe erklärte er den Vertretern der Mitgliedsstaaten die Position der Schweiz. Wann das institutionelle Rahmenabkommen fertig sei, könne er leider nicht sagen, aber man solle und werde sich doch auf jeden Fall um das „reibungslose Funktionieren der bestehenden Abkommen bemühen“. Er sah aber in der Drohung, das Börsenabkommen nicht unbefristet zu verlängern, sondern möglicherweise ganz aufzukündigen und das verschleppen eines Abkommens über technische Handelshindernisse einen „klaren Fall von Diskriminierung“. Er benutzte als Diplomat den Terminus „Erpressung“ dabei nicht direkt.
Um was geht es eigentlich, und wer setzt wen mit was unter Druck?
Die Lage ist ein wenig unübersichtlich. Einmal gibt es da dieses Rahmenabkommen über die Schweizer Börse. Die Regeln und Verfahrensweisen auf den Finanzplätzen und Börsen sind unterschiedlich und vielfältig. Die EU hat daher mit „Drittländern“ jeweils Verträge, die das weitgehend reibungslose Ineinandergreifen dieser Bestimmungen ermöglichen. Es gibt einen solchen Rahmenvertrag zur „Äquivalenzannerkennung“ zwischen der Schweiz und der EU, an dem aber noch Veränderungsbedarf besteht, der allerdings nicht dramatisch ist. Daher äußerste sich Kommissionspräsident Juncker so, dass die Anerkennung unbefristet sei. Aber die endgültige Fassung sollte noch kommen. Diese kam nicht, die Schweiz zögerte alles hinaus und stellte erst einmal die genannten Forderungen nach Ausnahmeregelungen für die Reisefreizügigkeit zwischen der EU und der Schweiz. Nun konterte die EU mit dem Verlust der Anerkennung der Schweizer Börse SIX. Damit wäre die Schweiz vom Aktienhandel mit der EU ausgeschlossen, ein ziemlicher Schlag ins Kontor.
Es wäre ein Brüsseler Nadelstich, der tief ins Fleisch des Schweizer Finanzplatzes dringen würde: Erkennt die EU nämlich die SIX nicht als gleichwertige Börse an, gingen ihr zwischen 60 und 80 Prozent ihres Handelsgeschäfts verloren. Das hätte massive Konsequenzen. Schließlich ist die Schweizer Börse der viertgrößte Handelsplatz in Europa mit einem Umsatz von etwa 1.000 Milliarden Franken (eine Billion) im Jahr.
Die Schweiz zeigt auch ihre Folterwerkzeuge
Die Eidgenossen lassen sich jetzt auch nicht lumpen. Die Waffe der EU, die Schweiz vom Aktienhandel mit allen EU-Mitgliedsländern auszuschließen, könnte sich als stumpf erweisen. Der Schweizer Bundesrat sieht die Gefahr schon länger und hat bereits im Juni einen Notfallplan für diesen Fall angekündigt. Finanzminister Ueli Maurer hat eine clevere und gleichzeitig simple Lösung. In den Finanzmarktbestimmungen der EU gibt es eine Vorschrift, dass eine Börsenäquivalenz nur von Drittstaaten gefordert werden kann, wenn Aktien aus diesem Drittland in der EU „Regelmäßig und systematisch“ gehandelt werden. Nun braucht also die Schweiz nur den Börsen in der EU den Handel mit Schweizer Papieren zu verbieten, so wären die Börsen auch nicht mehr an die Annerkennungspflicht gebunden. Die Händler aus der EU könnten dagegen weiterhin uneingeschränkt Zugang zur Schweizer Börse erhalten und EU-Investoren wären dann überhaupt nicht mehr daran gehindert, Schweizer Aktien in der Schweiz zu kaufen.
Der Schweizer Bankenverband würde diese Maßnahme genauso begrüßen, wie die Schweizer Börse SIX: „Der Bundesrat hat sehr gute Arbeit geleistet“, sagt der stellvertretende Verbandsdirektor August Benz. „Mit der Schutzmaßnahme kann das Schadenspotenzial einer nicht gewährten Börsenäquivalenz gewissermaßen abgefedert werden.“ Zugleich könne man so dem Risiko begegnen, dass die Börsenbetreiberin SIX Teile ihrer Finanzinfrastruktur in den europäischen Raum verlagere.
Ein möglicher Nachteil des Tricks ist, dass der Anteil von Börsen aus der EU am Handelsvolumen der größten schweizer Unternehmen recht hoch ist, nämlich mehr als ein Drittel. Das könnte bei Einsatz des schweizer Notfallplans deutlich schrumpfen. Ganz ohne Kollateralschäden würde das nicht abgehen und der Finanzplatz Schweiz könnte an Attraktivität verlieren. Es käme allerdings auch auf die Unternehmen an, erklärt ein Verbandsvertreter: „Die Titel der allergrößten Schweizer Unternehmen wie Nestlé, ABB oder Lafarge Holcim seien immer gefragt. Weniger bekannte Unternehmen wie etwa Geberit könnten jedoch in Probleme geraten, wenn sie nicht mehr auf europäischen Börsenplätzen gehandelt werden dürfen.“
Ob das alles so kommen wird, steht aber noch in den Sternen, denn die EU-Kommission handelt hier nicht im allgemeinen Konsens der Mitgliedsstaaten. Elf EU-Staaten stellen sich offen dagegen, darunter Deutschland, Luxemburg, Österreich und Großbritannien. Es gibt sogar einen offiziellen Protestbrief der elf Staaten an die EU-Kommission, was deren Position gegenüber der Schweiz erheblich schwächt.
Die “Kohärenzmilliarde”
Die zweite Waffe, mit der die Schweiz im „Schisshasespiel“ mit der EU punkten kann, sind die „Kohärenzzahlungen“. Dies sind nicht unerhebliche Zahlungen, die die Schweiz als Entgegenkommen für die Einbeziehung in die „erweiterte Europäische Union“ bereit ist, beizutragen. Dieser sogenannte „Erweiterungsbeitrag“ geht an die Länder im Südosten der EU, die nach 2004 der EU beigetreten sind: Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. Die Schweiz gibt hier 1,3 Milliarden CHF für Projekte zum Abbau von wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten innerhalb der EU aus.
Die Verwendung dieses Erweiterungsbeitrags, auch oft „Kohärenzmilliarde“ genannt, und die Umsetzung der Projekte in den Ländern wird von verschiedenen Behörden wahrgenommen. Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sowie das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) zeichnen für die Organisation verantwortlich. Die Verbindung zur EU hält die Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA).
Würden diese fast anderthalb Milliarden in diesen Ländern wegfallen, wäre wahrscheinlich der nächste Protestbrief an die Europäische Kommission fällig, in dem sich die Länder beschweren, dass die Zankerei auf ihre Kosten gehe und nun gefälligst beigelegt werden soll.
Persönliche Eitelkeit als Richtschnur der EU-Politik?
Es hat sowieso den Anschein, dass das ganze Trara sich möglicherweise eher um die Befindlichkeiten des Herrn Juncker dreht, als um politische oder wirtschaftliche Sachzwänge. Kommissionspräsident Juncker beschwerte sich weinerlich gegenüber der Schweizer Presse, er bleibe zwar ein Freund der Schweizer, musste aber im Urlaub dort feststellen, dass „immer, wenn ich schweizerischen Eidgenossen begegne, diese doch ein getrübtes Bild der Tiefe meiner Persönlichkeit haben“. Schuld daran seien die Schweizer Regierung und die Medien, die ein Bild von ihm entworfen hätten, das „in keinerlei Weise der Wirklichkeit entspricht“, beklagte sich Herr Juncker. So habe die Schweizer Presse bei Herrn Junckers letztem Besuch in Bern im Oktober in so negativer Weise berichtet, dass der Eindruck entstehen musste, er komme „lediglich in die Schweiz, um die 1,3 Milliarden Franken Kohäsionszahlungen einzukassieren.“