In Deutschland gemeldete Teil­neh­mer­zahlen der Gelb­westen offenbar geschönt

Um die Pro­teste der Gelb­westen wird es ruhiger in den Medien. Während die deut­schen Medien unter Berufung auf die Polizei sin­kende Teil­neh­mer­zahlen melden, ergibt sich bei einem Blick auf die Quellen ein anderes Bild.
(Von Thomas Röper)
Die Pro­teste der Gelb­westen begannen im November mit weit über hun­dert­tausend Teil­nehmern. Inzwi­schen sollen es gemäß offi­zi­ellen Angaben der fran­zö­si­schen Polizei weniger als 30.000 lan­desweit sein, die sich samstags zu Pro­testen ver­sammeln. Da fragt man sich, wozu bei so wenig Demons­tranten ein solches Poli­zei­auf­gebot not­wendig ist. Immerhin wurden am heu­tigen Samstag in Frank­reich 60.000 Poli­zisten mobilisiert.
Aber dass die von der Polizei gemel­deten Teil­neh­mer­zahlen mit Vor­sicht zu genießen sind, habe ich ja schon vor einigen Wochen an Hand von offi­zi­eller fran­zö­si­scher Seite gemel­deter Zahlen fest­ge­stellt. Die Zahl der Demons­tranten bei den Gelb­westen war demnach geringer, als die Anzahl der gewalt­be­reiten Demons­tranten unter den Gelb­westen. Dass etwas mit den offi­zi­ellen Zahlen nicht stimmt, wenn auf einer Demo laut Poli­zei­an­gaben 32.000 Men­schen sind und davon 40.000 bis 50.000 gewalt­be­reite Demons­tranten sein sollen, ist nicht son­derlich schwer zu verstehen.

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Am Sams­tag­abend meldete der fran­zö­sische Sender BFM TV unter Bezug auf das Innen­mi­nis­terium 27.900 Demons­tranten lan­desweit, davon 9.000 in Paris. Das wären mehr, als letzte Woche, da wurden aus Paris nur 5.000 Demons­tranten gemeldet. Aller­dings weist der Sender auch darauf hin, dass die offi­zi­ellen Zahlen von den Orga­ni­sa­toren immer bestritten werden. Als das offi­zielle Paris vor einigen Wochen von 30.000 Demons­tranten sprach, mel­deten die Orga­ni­sa­toren 231.000 Teilnehmer.
Miss­trauisch macht auch, dass die Polizei am Abend 9.000 Demons­tranten in Paris meldete, aber zum Bei­spiel der Spiegel schon Stunden zuvor gemeldet hat, dass die Polizei in Paris 11.000 „prä­ventive“ Per­so­nen­kon­trollen durch­ge­führt hat. Das würde ja bedeuten, dass die Polizei mehr Men­schen kon­trol­liert hat, als demons­triert haben.
Und BFM TV hat am Abend „249 Fest­nahmen in Paris bis 19 Uhr, mehr als 20.000 prä­ventive Per­so­nen­kon­trollen“ gemeldet. Lan­desweit seien 60.000 Poli­zisten im Einsatz gewesen, während nur 27.900 Demons­tranten gemeldet wurden.
Ich spreche kein Fran­zö­sisch und in den deut­schen Medien finden sich diese Mel­dungen nicht. Ich habe sie bei der rus­si­schen Nach­rich­ten­agentur TASS gefunden. Die TASS ver­linkt, im Gegensatz zu deut­schen Medien, ihre Quellen immer ganz brav, sodass man die Ori­gi­nal­mel­dungen leicht finden und über­prüfen kann. Und wer, wie ich, kein Fran­zö­sisch kann, dem hilft der Google-Über­setzer. Der reicht aus, den Inhalt einer Meldung zu verstehen.
Aber es zeigt sich wieder, dass mit den offi­zi­ellen Teil­neh­mer­zahlen bei den Gelb­westen ganz ein­deutig etwas nicht stimmt und es ist doch viel­sagend, dass die deut­schen Medien über die Gelb­westen kaum berichten. Und wenn sie es doch tun, dann melden sie nur die offi­zi­ellen Zahlen und ver­un­si­chern ihre Leser nicht mit den ein­deu­tigen Ver­dachts­mo­menten, dass die Zahlen geschönt sein könnten.
Die Unzu­frie­denheit in Frank­reich ist wei­terhin hoch. Die Pro­bleme der Men­schen wurden von der Politik nicht ange­gangen. Die hohen Steuern und Abgaben für die „kleinen Leute“, die zusammen mit den hohen Miet­kosten das Leben unbe­zahlbar machen, bestehen weiter. Die fran­zö­sische Regierung hat schon viel ver­sucht, den Pro­testen den Wind aus den Segeln zu nehmen, bisher alles ohne Erfolg.
Der letzte Versuch war Macrons Versuch einer „natio­nalen Debatte“, bei dem er durch das Land tin­gelte und mit aus­ge­wählten Bürgern sprach. Das war auch nur ein Ablen­kungs­ma­növer, denn wo die Bürger Frank­reichs der Schuh drückt, ist aus den For­de­rungen der Gelb­westen bekannt: Es geht um eine Erhöhung der Kauf­kraft und eine Senkung der Steuern auf kleine und mittlere Einkommen.
Wenig über­ra­schend hat eine Umfrage des fran­zö­si­schen Elabe-Instituts ergeben, dass 79% der Fran­zosen die „nationale Debatte“ für nicht hilf­reich halten. Die Umfrage bestä­tigte außerdem, dass 52% der Fran­zosen als drin­gendstes Problem die Kauf­kraft und 46% die Steuern ansehen. Macron hätte sich die Debatte sparen und statt­dessen handeln können.
Aber die For­de­rungen der Gelb­westen bleiben bisher uner­füllt, erst recht ihre For­derung, die gerade abge­schaffte Ver­mö­gens­steuer wieder ein­zu­führen. Macron gab den reichsten Fran­zosen eine Steu­er­senkung und wollte gleich­zeitig die Steuern der ärmsten Fran­zosen erhöhen. Und davon ist er bis heute nicht abgerückt.
Da ist es wenig über­ra­schend, dass trotz aller Bemü­hungen der Medien die Unter­stützung für die Gelb­westen bei über 60% liegt.
Auch an den Poli­zisten, die ja eben­falls nicht zu den Groß­ver­dienern gehören, aber Woche für Woche gegen die Gelb­westen antreten müssen, geht die Sache nicht spurlos vorbei. Die Facebook-Gruppe Citoyen Solidaire ver­öf­fent­licht den „Zähler der Schande“, der die Selbst­morde bei Poli­zisten zählt. Seit Jah­res­beginn haben in Frank­reich bereits 37 Poli­zisten Selbstmord begangen.

Trotzdem spielen die Gelb­westen und die Situation in Frank­reich bei den deut­schen Medien kaum eine Rolle und Macron ver­sucht, die Gelb­westen einfach aus­zu­sitzen. Bisher hat er damit leider Erfolg. Nur was ist demo­kra­tisch daran, wenn eine Regierung so offen gegen den Willen ihres Volkes regiert?
 


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“