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Ist die AfD noch zu retten oder driftet sie immer mehr in den Extre­mismus ab?

„Herr Höcke rückt die Partei nicht nach rechts, Herr Höcke ist die Mitte der Partei“, sagte Alex­ander Gauland nach der Thü­rin­genwahl. Wenn Höcke die Mitte der Partei ist, was ist denn dann der rechte (oder linke?) Rand der AfD, fragen sich seither viele. Aber betrachten wir die Ange­le­genheit etwas genauer.

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Gauland: „Herr Höcke ist die Mitte der Partei“
Herr Gauland ist ja ein sehr sym­pa­thi­scher älterer Herr, der auch viele kluge Dinge sagt, bis­weilen exzel­lente Bun­des­tags­reden hält. Immer wieder fällt er aber auch durch Aus­sagen auf, bei denen man sich fragt „Was ging denn da in ihm vor, so etwas zu sagen?“ 
Erinnert sei an die furchtbar pein­liche Geschichte, als er meinte, die Leute in Deutschland würden nicht neben einem Boateng wohnen wollen, und dann später ein­räumte, er wisse gar nicht wer Boateng sei und dass dieser farbig ist. Dann die berühmte Vogel­schiss-Rede. Wohl­ge­merkt, das war ins­gesamt eine sehr gute Rede, und aus dem Kontext erkennt man auch, wie es gemeint war, nämlich rein auf die Zeit­dauer, nicht auf das Ausmaß der Ver­brechen bezogen. Aber auch als Wohl­wol­lender fragte man sich dennoch: Wie kann man denn so einen Aus­druck in diesem Kontext benutzen? Das ist doch klar, dass die poli­ti­schen Gegner das ver­drehen und aus­schlachten werden. Der Aus­druck passt einfach nicht in diesem Zusam­menhang, selbst wenn nur die Zeit­dauer gemeint ist. Hier nochmals die Passage:
»Wir haben eine ruhm­reiche Geschichte, die länger dauerte als 12 Jahre, und nur wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Ver­ant­wortung für die 12 Jahre, aber liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogel­schiss in unserer über tau­send­jäh­rigen Geschichte.«
Und nun also die Behauptung, Höcke sei die Mitte der Partei. Björn Höcke ist die Mitte der AfD? Jan Fleisch­hauer ver­an­lasste dies zu fol­gender Bemerkung:
»„Herr Höcke rückt die Partei nicht nach rechts, Herr Höcke ist die Mitte der Partei.“ Ich bin mir nicht sicher, ob Alex­ander Gauland weiß, was er da gerade bei phoenix_de gesagt hat: Ab jetzt darf man mit gutem Grund für jeden Satz von Björn Höcke die gesamte AfD in Haft nehmen.«
Fleischhauer-Gauland
Das mag über­trieben sein. Auch wenn jemand aus der Mitte einer Partei etwas von sich gibt, was sagen wir einmal ziemlich schräg ist, dann spricht er ja nicht für die gesamte Partei. Gleichwohl ahnen wir, was Fleisch­hauer hier zu bedenken geben möchte.
Bun­des­ver­fas­sungs­schutz: Der Flügel ist eine extre­mis­tische Bewegung
Höckes Posi­tionen, die vor zwei Jahren noch geprüft wurden, ob sie einen Par­tei­aus­schluss recht­fer­tigen, werden hier von Gauland, dem Partei- und Frak­ti­ons­vor­sit­zenden im Deut­schen Bun­destag, als solche erklärt, die mitten in der AfD behei­matet seien. Welch ver­hee­rendes Signal nach außen und auch nach innen! Und man ist geneigt zu fragen: Ist der Mann noch ganz bei Trost?! Hat er nicht zur Kenntnis genommen, wie der Bun­des­ver­fas­sungs­schutz den Flügel, dessen zen­trale Figur Höcke ist, beurteilt?
»… hin­sichtlich der Samm­lungs­be­wegung der AfD „Der Flügel“ um den Thü­ringer AfD-Lan­des­vor­sit­zenden Björn Höcke liegen dem BfV stark ver­dichtete Anhalts­punkte dafür vor, dass es sich bei ihr um eine extre­mis­tische Bestrebung handelt. 
Das durch den „Flügel“ pro­pa­gierte Poli­tik­konzept ist primär auf die Aus­grenzung, Ver­ächt­lich­ma­chung und weit­ge­hende Recht­los­stellung von Aus­ländern, Migranten, ins­be­sondere Mus­limen, und poli­tisch Anders­den­kenden gerichtet. Es ver­letzt alle Ele­mente der frei­heit­lichen demo­kra­ti­schen Grund­ordnung, die Men­schen­wür­de­ga­rantie sowie das Demo­kratie- und das Rechts­staats­prinzip.
Die Rela­ti­vierung des his­to­ri­schen Natio­nal­so­zia­lismus ist zudem prägend für die Aus­sagen der „Flügel“-Vertreter. Der Fort­be­stand eines orga­nisch-ein­heit­lichen Volkes wird vom „Flügel“ als höchster Wert ange­sehen. Der ein­zelne Deutsche wird nur als Träger des Deutschtums wertgeschätzt … 
Ziel des „Flügels“ ist ein eth­nisch homo­genes Volk, welches keiner „Ver­mi­schung“ aus­ge­setzt sein soll. (…) „Flügel“-Vertreter wenden sich auch gegen das Demo­kratie- und das Recht­staats­prinzip. Demo­kra­tische Ent­schei­dungen werden nur akzep­tiert, wenn diese zu einer Regie­rungs­über­nahme durch die AfD führen. Im Falle des Schei­terns der AfD gelte: „Danach kommt nur noch: Helm auf.“ Ein­zelne Mit­glieder des „Flügels“ weisen nach Infor­ma­tionen des BfV zudem Bezüge zu bereits als extre­mis­tisch ein­ge­stuften Orga­ni­sa­tionen auf.«
Und das, Herr Gauland, soll „die Mitte der Partei“ sein?
Höcke und der Flügel sind nicht die wahre AfD!
Ein­zelne, sehr enga­gierte AfD-Mit­glieder sehen das völlig anders. So schreibt eine Frau, die sich sehr um Auf­klärung und einen kon­ser­vativ-libe­ralen, nicht rechts- oder links­extremen Kurs der AfD bemüht:
»Höcke ist NICHT die Mitte der Partei. Höcke ist nicht die wahre AfD. Der Flügel ist nicht die Mitte der Partei. Der Flügel ist nicht die wahre AfD. Der Flügel ver­tritt teils Posi­tionen, die in Kon­kurrenz zur AfD stehen und die der AfD schaden. Das sage jetzt gerade nicht ich, das sagen par­tei­eigene Schieds­ge­richte. Herr Gauland möge lesen, bevor er seine schüt­zenden Arme aus­breitet und dabei seine Ellen­bogen direkt ins Gesicht der AfD rammt.«
Und dann zitiert sie das Urteil des Lan­des­schieds­ge­richtes Bayern (Nolte):
»§ 2 Abs. 3 der Bun­des­satzung hält fest, dass die gleich­zeitige Mit­glied­schaft in der AfD und einer sons­tigen poli­ti­schen Ver­ei­nigung aus­ge­schlossen ist, soweit ein Kon­kur­renz­ver­hältnis gegeben ist. In Bezug auf den Flügel ist ein solches Kon­kur­renz­ver­hältnis auf­grund der oben dar­ge­stellten Orga­ni­sa­ti­ons­tiefe und vor allem Bereit­schaft, auch in der Öffent­lichkeit für poli­tische Posi­tionen zu werben, auch wenn es sich nicht um AfD Posi­tionen handelt, nicht mehr zu verneinen.«
Und das Urteil des Bun­des­schieds­ge­richtes (Brönner):
»Zudem ist zu berück­sich­tigen, dass Anfang 2019 das Bun­desamt für Ver­fas­sungs­schutz die Gesamt­partei zum Prüffall und die JA sowie die vom Vor­sit­zenden des Antrag­stellers ange­führte Orga­ni­sation „Der Flügel“ zum Beob­ach­tungsfall erklärte. Diese Ein­stu­fungen des Bun­des­amtes erzeugen in der Öffent­lichkeit zwei­fellos ein Bild der extremen Rechts­las­tigkeit der Partei bzw. der genannten Orga­ni­sa­tionen und ermög­lichen Medien und dem poli­ti­schen Gegner seither ‑sozu­sagen mit amt­lichen Segen‑, die AfD per se als rechts­ra­dikal bis rechts­extrem zu dif­fa­mieren. Breite Schichten von Bürgern wurden und werden dadurch abge­schreckt, sich für die Partei aktiv zu enga­gieren oder sie auch nur zu wählen.«
Meuthen: Höckes Posi­tionen sind ent­weder deutlich rechts oder deutlich links, aber nie mittig
Insofern, so diese AfD-lerin, sei der Schaden, der durch Höcke und den Flügel für die Partei ins­gesamt ange­richtet werde, viel größer als der Nutzen, der darin bestehen dürfte, dass Höcke ins­be­sondere an den Rändern der Gesell­schaft, also im Bereich radi­kaler bis hin zu extre­mis­ti­schen Ansichten, sei es nun rechts oder links, sicherlich etliche Hun­dert­tau­sende anziehen dürfte, dafür aber zur Mitte der Gesell­schaft hin viele Mil­lionen abschreckt, die ansonsten sich durchaus öffnen könnten für eine echte Alter­native zu den Alt­par­teien. Dieser Ein­schätzung schließe ich mich an.
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Hinzu dürfte kommen, dass man so mit­tel­fristig auch mög­liche Koali­ti­ons­partner ver­schreckt, die sich bei einer Meuthen-AfD irgendwann durchaus vor­stellen könnten, eine Form der Zusam­men­arbeit anzu­steuern, mit einer Höcke-AfD dies aber gänzlich ausschließen.
Jörg Meuthen drückte sich auf der Pres­se­kon­ferenz nach der Thü­rin­genwahl denn auch deutlich anders aus als Alex­ander Gauland:
»Ich würde einige Posi­tionen von Herrn Höcke, wenn ich sie in das Links-Rechts-Kon­tinuum ein­ordnen müsste, nicht als mittig klas­si­fi­zieren. Das ist auch bekannt. Andere würde ich als links ein­ordnen. Viel­leicht könnte man spa­ßes­halber sagen, gesell­schafts­po­li­tisch deutlich rechts, wirt­schafts- und sozi­al­po­li­tisch deutlich links, ist im Durch­schnitt dann mittig. So könnte man das etwas iro­nisch for­mu­lieren. Ich würde ansonsten diese Ein­schätzung („Herr Höcke ist die Mitte der Partei“), wenn sie den Satz iso­liert nehmen, nicht teilen.«
Das heißt mit anderen Worten: Höcke nimmt in keiner ein­zigen Beziehung eine mittlere Position ein, weder gesell­schafts- noch wirt­schafts- und auch nicht sozi­al­po­li­tisch. Er steht immer, in jeder Frage deutlich außerhalb der Mitte, nicht nur der Gesell­schaft, sondern auch innerhalb der AfD.
Ist die AfD noch zu retten oder driftet sie immer mehr in den Rechts­extre­mismus ab?
Gleich­zeitig ist nunmehr seit Jahren zu beob­achten, dass der Höcke-Flügel die AfD immer stärker domi­niert. Und diese Ent­wicklung, weiter und weiter weg von der Mitte der Gesell­schaft, dürften die drei Wahl­er­folge in Sachsen, Bran­denburg und Thü­ringen, die allesamt von Flü­gel­leuten domi­niert wurden, noch zusätzlich ver­stärken und womöglich sogar beschleunigen.
Insofern stellt sich die Frage: Ist die AfD noch zu retten oder driftet sie immer mehr in den Rechts­extre­mismus ab? Dann aller­dings gäbe es keine ver­fas­sungs­treue, bür­gerlich-kon­ser­vativ-liberale Oppo­sition mehr zu der desas­trösen, selbst­zer­stö­re­ri­schen Politik der Altparteien.

Jürgen Fritz — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog des Autors www.juergenfritz.com