Für die SPD ist es die erwartete krachende Wahlniederlage geworden. Und wie man es auch dreht und wendet, an keinem einzigen Punkt wird man sie dieses Mal schönreden können. 20,5 Prozent der Wählerstimmen sind ein Desaster.
(Von Oliver Götz)
Alle Parteien konnten Sie von den herben Verlusten der Union – das satte Minus betrug 8,5 Prozent – profitieren. Nur nicht die SPD. Die verlor selbst weitere 5,2 Prozent gegenüber 2013. Die beiden Volksparteien haben damit unisono etwas über 20 Prozent ihrer Wählerschaft verloren. „Für uns endet heute die große Koalition“, sagte Manuela Schwesig, die stellvertretende Parteivorsitzende denn auch sofort nach der ersten Prognose in die Kameras. „Die SPD geht in die Opposition.“ Tags zuvor war das wohl schon beschlossen worden, Kanzlerkandidat Martin Schulz bestätigte es später.
20,5 Prozent sind für die deutschen Sozialdemokraten schlichtweg ein Desaster. Vor allem auch im Hinblick darauf, dass Linke (plus 0,6), Grüne (plus 0,5) , FDP (plus 5,9) und natürlich AfD (plus 7,9) teils klare Zuwächse verzeichnen konnten. Schulz, Schwesig und Co. werden also in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten nach Erklärungen suchen, die Niederlage aufarbeiten und über vier Jahre in der Opposition versuchen Wählerstimmen zurückzuerobern. Und Schulz, er wird Merkel weiter das vorwerfen können, was er ihm Abend in der Berliner Runde der ARD bereits sichtlich genervt hinknallte. Merkel habe einen „skandalösen Wahlkampf“ geführt, sagte er und warf ihr eine „systematische Verweigerung von Politik“ vor.
Klar, die Bundestagswahl 2017 war überlagert von den Themen um Flüchtlinge und Migration. Alles andere hatte im Vergleich kaum eine Chance gehört zu werden, verblasste angesichts dieses Themas, das es schaffte die Gesellschaft zu spalten und einen großen politischen Graben durch die Nation zu ziehen. Der „Gutmensch“ entstand. Und der „Nazi“ kam zurück. Das Wahlergebnis zeigt nun deutlich, alles in allem erlebte und erlebt Deutschland einen Rechtsruck. Für eine sozialdemokratische Partei natürlich ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt, um zum Wahlgewinner zu werden.
Die große Frage angesichts des SPD-Desasters aber muss lauten: Wieso wählen diejenigen, die das AfD-Konzept bekämpfen, auch die CSU noch zu weit rechts sehen und die CDU als Partei des Stillstands wahrnehmen nicht sozialdemokratisch rot? Wieso wählen sie Grün, Links und letztlich auch zum Teil Schwarz oder Gelb?
Weil die Partei bei genauerem Hinsehen in diesen Zeiten einen klar ersichtlichen und schwerwiegenden Fehler begangen hat: Den Gerechtigkeitsfehler. Ihren gesamten Wahlkampf daran auszurichten, was gerecht und was ungerecht ist, war ein Spiel mit dem Feuer. Und wie die Prognosen es schon lange voraussehen wollten, haben sie sich daran nun auch endgültig verbrannt. Denn was gerecht und was ungerecht ist, lag schon immer und liegt auch heute noch im Auge des Betrachters. Dem Großteil in Deutschland ging es in den letzten Jahren vergleichsweise gut. Da wirkt die Politik von Angela Merkel dann auch gar nicht mal so ungerecht, oder? Und die von ihrer Art der Führung sozialpolitisch Benachteiligten? Die wollten angesichts der Prognosen wohl vor allem eines nicht wieder: Eine große Koalition. Wählten sie dann ja im Umkehrschluss doch wieder Angela Merkel zur Kanzlerin.
Dazu kommt: Linke und Grüne haben Gerechtigkeit schon viel länger als großes Wahlkampfthema entdeckt. Und gerade die Linke hat ihre Auffassungen davon unter anderem durch eine polarisierende Sahra Wagenknecht viel deutlicher und konsequenter zum Wähler transportiert. Hier haben sich einige enttäuschte linksorientierte Wähler wohl eher zuhause gefühlt als bei der SPD.
Und angesichts des Wahlerfolgs der AfD haben sich viele wohl auch gedacht: Ist es gerecht, dass Flüchtlinge Anspruch auf deutsche Sozialleistungen haben und in ihrer Zahl unbegrenzt Asyl beantragen können? Nicht wenige von diesen Vielen waren nach jener Überlegung augenscheinlich ganz grundlegend anderer Meinung. Das Spiel könnte man noch eine ganze Weile so weiterspielen. Ist es gerecht den Spitzensteuersatz anzuheben? Die, die ihn zahlen müssen, werden das anders sehen. Ist einer Bürgerversicherung, in die alle einzahlen gerecht? Vor allem einige Privatversicherte werden das wohl anders sehen.
Über das, was gerecht und ungerecht ist, entscheidet in einem demokratischen Wertesystem immer noch das Volk. Und das entschied sich dieses Mal deutlich gegen das Konzept der SPD.
Natürlich hat die Frage nach Gerechtigkeit nicht allein die Wahl entschieden. Dass es für Schulz gegen Angela Merkel schwer werden würde, war klar. Doch dieses besonders miserable Ergebnis, immerhin das schlechteste aller Zeiten für die SPD, lässt sich ein Stück weit wohl so erklären.
Quelle: TheEuropean.de
Bild: Flickr.com JouWatch