Der Nazi-Wahn — Die Aus­wüchse des Kampagnenjournalismus

Je näher die Bun­des­tagswahl rückt, desto ner­vöser wird der poli­tisch-mediale Komplex. Die Nazi­war­nungen ver­dichten sich und kommen nun schon beinahe stündlich.

Für die Jour­na­listen hat Jakob Aug­stein den Vogel abge­schossen. In seiner jüngsten Kolumne Die Mutter der AfD für den Spiegel, wo er unserer Kanz­lerin vor­wirft, Nazis den Weg in den Bun­destag geebnet zu haben, bringt er auch den ehe­ma­ligen Spiegel-Mit­ar­beiter und heu­tigen Welt-Kolum­nisten Henryk M. Broder ins Spiel. Broder böte mit seiner Achse des Guten „Rechts­aus­legern“ (warum eigentlich nicht Ausleger*innen?) wie „Vera Lengsfeld, die mal für die CDU im Bun­destag saß, nun aber gemeinsam mit Frauke Petry öffentlich auf­tritt“, „eine Spiel­wiese“. Damit hat er Broder in seiner Auf­zählung zu denen gerechnet, die den Einzug von Nazis in den Bun­destag begüns­tigten. Unsäg­liches Denun­zi­an­ten­stadl Deutschland: Statt zu argu­men­tieren werden Listen von Ver­däch­tigen erstellt und Kol­legen gebrandmarkt.

Die Politik ist nicht besser: Sigmar Gabriel, der auch schon Nazis in den Bun­destag ein­ziehen sieht, können wir bei­sei­te­lassen, denn Cem Özdemir und andere haben das auch schon getan. Wobei Özdemir AfD-Wähler im schönsten, wenn man höflich sein will, Erdogan-Jargon auch noch als „Brut“ bezeichnet hat.

Nein, den Sieg im Wett­bewerb der Unsäg­lich­keiten hat ein­deutig Kanz­ler­amts­mi­nister Alt­maier davon­ge­tragen. Er hat in einem Bild-Video­in­terview „unzu­frie­denen Bürgern geraten, lieber auf eine Stimme bei der Bun­des­tagswahl zu ver­zichten als AfD zu wählen“.

Das muss man sich auf der Zunge zer­gehen lassen: Ein Regie­rungs­mit­glied ruft dazu auf, die demo­kra­ti­schen Mit­be­stim­mungs­rechte lieber nicht wahr­zu­nehmen, als die einzige poli­tische Kon­kurrenz zu den Alt­par­teien zu wählen. Mehr Angst vor dem Wähler kann man kaum zeigen.

Die Stra­tegie des CDU-Wahl­kampfs ist darauf aus­gelegt, die Wähler ein­zu­schläfern. Die SPD konnte Merkel damit klein halten, aber in den Tagen vor der Wahl zeigt sich, dass die Stra­tegie nicht aufgeht. Jetzt steigt die Ner­vo­sität: Alt­maier hat sich ver­sprochen und ver­kal­ku­liert. Und das wich­tigste Instrument der Demo­kratie zur Dis­po­sition gestellt: Eine Regierung darf nicht dazu auf­rufen sie zu unter­stützen, indem man nicht zur Wahl geht. Implizit stärkt Alt­maier damit auch das Gefühl der Bürger, dass die im Bun­destag befind­lichen Par­teien sich mit­ein­ander bestens arran­giert haben.

Argu­men­ta­ti­ons­hilfe liefert dabei der rechte Flügel der Partei um Alex­ander Gauland. Gauland und seine Jünger lie­ferten in den letzten Tagen jede Menge Gründe, die es den Wählern der Mitte schwer machen, die AfD zu wählen. Dazu gehört die Auf­for­derung Gau­lands, stolz auf die „Leis­tungen der deut­schen Sol­daten“ zu sein oder André Pog­gen­burgs Ein­lassung, Sta­si­of­fi­ziere wären akzep­table Bun­des­tags­kan­di­daten, denn erstens sei es Zeit, die Sta­si­ver­gan­genheit abzu­schließen und zweitens seien die IMs die eigentlich Schlimmen gewesen. Damit über­nimmt er 1:1 die Argu­men­tation der haupt­amt­lichen Stasis, denen es gelang, durch die Ver­öf­fent­li­chung spek­ta­ku­lärer Spio­na­ge­fälle die öffent­liche Auf­merk­samkeit von sich weg und auf die Inof­fi­zi­ellen Mit­ar­beiter hinzulenken.

Uner­wartete Schüt­zen­hilfe bekommen Gauland&Co von Kam­pa­gnen­jour­na­listen wie Mat­thias Meisner vom Tages­spiegel, der sich seit Tagen eifrig bemüht hat, ein Bür­ger­forum in Pirna, bei dem ich ein Gespräch von Frauke Petry mit Wählern mode­rieren sollte, ins unrechte Licht zu rücken. Obwohl es sich um eine privat orga­ni­sierte Ver­an­staltung gehandelt hat, wurde sie anfangs als AfD-Ver­an­staltung bezeichnet, bei der im Hin­ter­grund „Rechts­ra­dikale“ die Fäden ziehen würden. Seit Freitag erscheinen immer neue Updates und Vari­anten dieses Artikels.

Pirna scheint Meisners Obsession geworden zu sein. Wobei die zuletzt erschienene Variante ein Mus­ter­bei­spiel für Kam­pa­gnen­jour­na­lismus ist. Unter dem Titel Dialog von Frauke Petry und Vera Lengsfeld geplatzt wird vom Verbot der Ver­an­staltung durch die Stadt Pirna berichtet. Inter­essant ist die Begründung, die der Sprecher der Stadt Pirna, Thomas Gockel, am Dienstag dem Tages­spiegel gab. Zum einen dürfte die Halle nur für „sport­liche Zwecke“ genutzt werden, zum anderen stellten sich wegen des zu erwar­tenden Andrangs „Bau­ord­nungs- und Brand­schutz­pro­bleme“. Die DDR lässt grüßen! Wenn auf eine Kirch­ge­meinde Druck aus­geübt wurde, eine bestimmte Ver­an­staltung nicht statt­finden zu lassen, waren oft „Bau­ord­nungs- und Brand­schutz­pro­bleme“ der Grund, keine politischen.

Danach rollt Meisner die ganze Geschichte mit den angeb­lichen „Rechts­ra­di­kalen“ noch einmal auf. Ständige Wie­der­holung, das weiß jeder Dem­agoge, ver­leiht jeder Geschichte Glaub­wür­digkeit. Als „Beweis“ prä­sen­tiert er ein Foto, das einen der ein­la­denden Unter­nehmer neben dem in der Öffent­lichkeit weit­gehend unbe­kannten Götz Kubit­schek zeigt. Irgendwann war der Unter­nehmer mal in Schnellroda zu Gast. Meisner ver­weist in einem Link auf eine Recherche der Zeit über Kubit­schek. Wer sich die Mühe macht, sie zu lesen, stellt erstaunt fest, dass die Zeit kein ein­ziges Mal das Wort „rechts­ra­dikal“ ver­wendet. Es ist korrekt „von der intel­lek­tu­ellen Neuen Rechten“ die Rede. Es gibt eine demo­kra­tische Rechte, auch wenn das nicht ins Weltbild von Meisner passt.

Weiter berichtet Meisner von den Akti­vi­täten der inner­par­tei­lichen Gegner von Frauke Petry, die in ihrem Wahl­kreis Ver­an­stal­tungen machen, die als Gegen­ge­wicht zu Petrys Auf­tritten kon­zi­piert sind. Man möchte anscheinend die aus­ge­wiesene Kämp­ferin gegen rechts­ra­dikale Ten­denzen in der AfD schwächen. Bei diesen Ver­an­stal­tungen tritt nach Meisner auch der ehe­malige Links­ra­dikale Jürgen Elsässer auf, der am Ende von Meisners Indi­zi­en­kette stand, mit der bewiesen werden sollte, dass „Rechts­ra­dikale“ hinter der Ein­ladung an Petry und mich standen. Die Frage, warum die aus­ge­wie­senen Gegner im „Hin­ter­grund“ Petry ein Forum bezahlen sollten, stellt sich Meisner offenbar nicht. Da wäre die schöne Story, für die Gauland&Co sicher auch sehr dankbar waren, zerplatzt.

Lieber übt Meisner sich im jour­na­lis­ti­schen Jon­glieren. Hier seine neuste Argu­men­ta­ti­ons­kette (die Zitate aus meinem Artikel stimmen): „Die Ein-Prozent-Bewegung“ sei eine „offenbar rechts-kon­ser­vative Orga­ni­sation“, behauptete Lengsfeld. Es sähe nicht so aus, als ob sie als Ganzes oder auch nur in Teilen rechts­ra­dikal sei. Die Ver­fas­sungs­schutz­be­hörden indes beob­achten schon seit Monaten „mit Sorge“ rechts­extreme Ten­denzen bei Teilen der AfD“.

Nur dem auf­merk­samen Leser fällt auf, dass der erste und der zweite Teil der Argu­men­tation nichts mit­ein­ander zu tun haben. Die Ein-Prozent-Bewegung wird nicht vom Ver­fas­sungs­schutz beob­achtet. Und die AfD auch nicht, trotz mehr­facher Auf­for­derung durch die Politik, zum Bei­spiel von Jus­tiz­mi­nister Maas.

Was will Meisner uns damit eigentlich sagen? Man ver­steht es nicht, man soll es auch nicht ver­stehen können (denn dann wäre ja Wider­spruch möglich). Es reicht, dass der indi­rekte Vorwurf immer wieder anklingt. Das ist Kam­pa­gnen­jour­na­lismus, wie er leider in Deutschland immer häu­figer anzu­treffen ist und seriösen Jour­na­lismus verdrängt.

 

Quelle: vera-lengsfeld.de