Der Sultan vom Bos­porus, Peter Steudtner und die große Nie­derlage für Men­schen­rechte und Freiheit

Nun ist Peter Steudtner also frei­ge­lassen worden. Augen­scheinlich ein Sieg des Rechts. Aber ist das wirklich so? Mit­nichten! Es ist vielmehr ein großer Sieg für die tür­kisch-isla­mische Seite und für Recep Tayyib Erdogan, und zwar auf ganzer Linie.

(Von Sebastian Sigler)

Eine Polemik aus gege­benem Anlass.

Nun ist er also frei. Peter Steudnter hat die Türkei ver­lassen. Was jedem juris­tisch halbwegs gebil­deten Beob­achter längst son­nenklar war, ist, dass dies von Anfang an ein reiner Schau­prozess war. Und dass er es auch nach der Frei­lassung des Ange­klagten bleibt. Natürlich konnte sich Steudtner sehr sub­sta­tiiert ver­tei­digen, denn es ist nichts dran an den Vor­würfen gegen ihn. Nun sprechen die ersten Beob­achter bereits davon, dass dadurch Ver­trauen in die tür­kische Justiz auf­gebaut werden kann. Das ist so, als ob nach einer Kin­des­ent­führung dem Ver­brecher Dank­barkeit und Ver­trauen ent­ge­gen­ge­bracht werden, nur wenn er das Opfer nach über 100 Tagen halbwegs unver­letzt frei­ge­lassen hat.

Ursachen und Wirkung werden dabei eklatant ver­tauscht, und beim Drama um Peter Steudtner geschieht das nicht zum ersten Mal. Erdogan, der Wie­der­ho­lungs­täter in Sachen Taqiyya, erntet Dank und Erleich­terung. Das würde kaum geschehen, wenn gebührend zur Kenntnis genommen würde, dass der tür­kische Macht­haber in kühl kal­ku­lierter Macht­po­litik den Westen demütigt, wo er kann, wieder und wieder. Diese Demü­ti­gungen ver­buchen er und seine isla­mi­schen Gefolgs­leute als Siege für ihre Religion, als Beleg für deren Über­le­genheit gegenüber den „unglä­bigen Schwei­ne­fressern“. Ganz unmit­telbar wird dies in Ankara so attri­buiert. Nur die hier­zu­lande übliche lai­zis­tische Welt­sicht, das Aus­blenden der so eminent wirk­samen reli­giösen Sphäre, kann zu dieser krassen Blindheit fühen, mit der sich jetzt Kom­men­ta­toren über den angeb­lichen Sieg in der causa Steudtner freuen und eine Erleich­terung her­bei­reden, die keine ist.

Nein, das ist wirklich kein Sieg, dass Steudtner, von der Haft im osma­nisch-tür­ki­schen Gefängnis deutlich gezeichnet, nun wie ein geprü­gelter Hund aus der Türkei ent­kommen konnte. Denn er nahm einen wichtige Ausgabe wahr: die Warnung vor Men­schen­rechts­ver­let­zungen, die das isla­mische Regime Erdogan ständig und fla­grant begeht. Und das wird er nun nicht mehr tun, nicht jeden­falls in Istanbul. Erdogan hat einen großen Sieg davongetragen.

Warum dieser Schauprozess?

Und das ist noch nicht der ganze Sieg, den der selbst­er­nannte Sultan vom Bos­porus ein­fahren kann. Alle Men­schen­rechtler über­legen sich seit der Fest­nahme Steudtners, und seine Amnesty-Kol­legen seien hier genauso gemeint, ganz genau, was sie noch sagen dürfen. Die Inhaf­tierung Steudtners hat eine Schere im Kopf aller Men­schen­rechtler pla­ziert. Und wer sich das Wort nich ver­bieten lässt, der weiß doch um die neue, größere Gefahr. Und das ist eine fatale Ent­wicklung für die unter­drückten Min­der­heiten in der Türkei, also für die wenigen Nicht-Sun­niten und Nicht-Sel­cuken, die noch nicht einem Völ­kermord anheim­ge­fallen sind, denn schon das Osma­nische Reich begonnen hat, der im Völ­kermord an den Arme­niern gip­felte, an den Erdogan nahtlos mit einem klan­des­tinen Völ­kermord durch Ver­drängen und Ein­schüchtern anschließt und unter dem derzeit vor allem die Aramäer zu leiden haben. So spannt sich der Bogen vom Regime der Jung­türken bis zum heu­tigen Macht­haber. Und, um es nochmals klar zu benennen: ja, der Autor hält Erdogan für einen Dik­tator, der zum Völ­kermord fähig scheint, derMann von Bos­porus wäre darin wie Stalin. Ja, und auch wie Hitler.

Der Prozess gegen Peter Steudtner gehört in einen grö­ßeren Zusam­menhang. Wenige Tage vor der Ver­haftung des Amnesty-Akti­visten beschlag­nahmte der tür­kische Staat eine große Zahl ara­mäi­scher Kirchen, Klöster, Grab­denk­mäler und Grund­stücke, die aus­nahmslo das Eigentum christ­licher Gemeinden oder von Pri­vat­per­sonen, die der ara­mäi­schen Kirche ange­hören. Das erklärte schon damals der Vor­sit­zende des Bun­des­ver­bands der christ­lichen Aramäer in Deutschland, Daniyel Demir. Doch außer auf kirch­lichen Web­seiten, die neutral berichten, fand das kaum Widerhall. Allein die Aramäer in der tür­ki­schen Stadt Mardin und Umgebung ver­loren 2017 abermals mehr als 50 Kirchen, Klöster und Grab­an­lagen an die tür­kische Reli­gi­ons­be­hörde Diyanet. Und welche Art von Reli­gi­ons­freiheit diese Behörde prak­ti­ziert, ist hin­rei­chend bekannt.

Warum es nicht nur um Peter Steudtner geht

Die Aramäer sind in der Türkei als Min­derheit nicht aner­kannt und können daher das Recht auf Reli­gi­ons­freiheit nicht ent­spre­chend ausüben. Eigen­tums­erwerb, Bau und Erhalt von Kirchen war schon in der Ver­gan­genheit immer wieder mit Schwie­rig­keiten ver­bunden. Derzeit leben den Angaben zufolge noch rund 2.000 Aramäer in der Türkei. In Deutschland sind es inzwi­schen 150.000, in der EU 350.000. Die syrisch-ortho­doxen Aramäer stehen in der direkten Tra­dition der frü­hesten christ­liche Kirche. Sie beten das Vater­unser noch heute in genau der Sprache, in der Jesus Christus es betete. Nach Rück­sprache mit der Leitung des tür­ki­schen Klosters Mor Gabriel, einem der ältesten christ­lichen Klöster über­haupt, scheint die Über­tragung von bis dato 50 kirch­lichen Immo­bilien rund um Mardin „nur die Spitze des Eisberg“ zu sein. Die Lage wurde als „unüber­sichtlich“, doch genau das ist Methode: die Störung des All­tags­lebens der Christen bis hin zur Ermüdung, bis hin zur Resi­gnation und schließlich zu deren Aus­wan­derung oder Ausreise.

Die Unsi­cherheit, die gegenüber reli­giösen, auch mus­li­mi­schen Min­der­heiten genau wie im Fall Steudtner geschürt wird, ist ein starkes instrument in der Hand der isla­misch-sun­ni­ti­schen Mehr­heits-Regimes unter Erdogan auf dem Weg zu einer ras­sisch und religiös völlig gleich­ge­schal­teten, rassich reinen Türkei. Das Ausmaß der Ent­eig­nungen bezeichnete Demir bereits Ende Juni 2017 als „alar­mierend”; noch wisse man nicht genau, welche und wie­viele der unzäh­ligen Kirchen der Gegend um Mardin auf der Liste der Behörde stünden. Es sei zu befürchten, dass das jahr­tau­sen­dealte ara­mäische Kul­turerbe, dass Kirchen und Klöster aus früh­christ­licher Zeit ver­äußert oder in Moscheen umge­wandelt würden. Diese bedrü­ckenden Gesamt­si­tuation, vor der Amnesty Inter­na­tional unter anderem warnen wollte, sollte immer mit­be­dacht werden, wenn es um den Fall Steudnter und seine Bwertung geht. Der All­tags­terror, der bisher die reli­giösen Min­der­heiten in Ana­tolien betraf, scheint nun auch auf inter­na­tional tätige Men­schen­rechtler und aus­län­dische huma­nitäre Orga­ni­sa­tionen aus­ge­dehnt zu werden.

Stellte Sigmar Gabriel den Staatschef Erdogan bloß?

Ein Alt-Bun­des­kanzler höchst­per­sönlich also hat in der causa Steudtner ver­handelt, wie wir erfahren durften. Der Bun­des­au­ßen­mi­nister per­sönlich teilte mit: „Ich bin Gerhard Schröder sehr dankbar für seine Ver­mittlung.“ Wobei diese Wortwahl darauf hin­deutet, dass Schröder seine Auf­wartung in Ankara nicht mit leeren Händen machte. Der pro­mi­nente Emissär reiste denn auch logi­scher­weise mit Wissen der Bun­des­kanz­lerin, wie eben­falls mit­ge­teilt wurde. Ob es indes klug war, all diese Infor­mation preis­zu­geben, steht dahin, jedoch eines ist klar: Der Mann für den Bittgang und für das sicherlich ein­ge­schlossene Tausch­ge­schäft war mit Umsicht aus­ge­wählt. Schröder ist nicht erst seit seinem Auf­sichts­rat­mandat beim rus­si­schen Öl-Multi Rosneft dafür bekannt, dass er den Kotau vor diak­to­risch regie­renden Poten­taten perfekt beherrscht. Das ist auch kein Wunder, kehrt er doch ein wenig zu seinen frühen Wurzeln zurück, wo er als Juso der „Sta­mokap-Fraktion“ nahe­stand, die hier­zu­lande einen Staats­mo­no­pol­ka­pi­ta­lismus erkannt hatte, diesen bekämpfen wollte und damit die „Dik­tatur“ west­licher Wirt­schafts­werte nie­der­zwingen wollte. So pak­tiert denn ein gereifter Schröder mit Putin und reist zu Erdogan. Wie sagte Rober Gern­hardt doch so schön: „Die schärfsten Kri­tiker der Elche / waren früher selber welche!“

Ach, Gerhard Schröder, so seufzt der Kolumnist, mit dem war nie wirklich Staat zu machen! So ganz stimmt dieser Topos natürlich nicht, denn immerhin konnten sich DAX-Kon­zerne und spe­ziell VW über große Unter­stützung freuen, die der inzwi­schend gar nicht mehr an Sta­mokap erin­nernde Genosse der Bosse ins Kanz­leramt mit­brachte, nachdem er vor der Bun­des­tagswahl 1998 so medi­en­wirksam an dessen Zaun gerüttelt hatte. Und immerhin hat jetzt die Bieg­samkeit seiner Lenden dazu geführt, dass die dringend nötige Frei­lassung von Peter Steudtner ereicht werden konnte. Dass Deniz Yücel und Mesale Tolu weiter in Haft sind: kein Wort dazu bei Schröder. Dass über 50 weitere deutsche Staats­bürger unter osma­ni­schen Bedin­gungen in tür­ki­scher Haft sitzen, das wid immerhin ver­schie­dentlich erwähnt, sogar vom twit­ternden Regie­rungs­sprecher. Doch Sigmar Gabriel spricht lieber von einem „Zeichen der Ent­spannung“. Und so kann Erdogan einen wei­teren, einen großen Sieg einfahren.

Das wäre noch in Odnung gewesen, denn Edogan ist kein Gesprächs­partner, der sich in demo­kra­tische Maß­stäbe ein­ordnet. Doch dann wurde alles aus­ge­plaudert. Gut wäre es gewesen, wenn Schröders ver­trau­liche Ver­handlung auch wirklich ver­traulich geblieben wäre. Warum? Indem Erdogans Name im Zusam­menhang mit Steudtners Frei­lassung genannt wird, ist der Nachweis erbracht, dass das Ver­fahren nicht nur in der Türkei ein Schein­prozess war, sondern auch der Rechts­staat­lichkeit ent­behrte. Denn wenn es nach den Gesetzen des Rechts­staates gegangen wäre, hätte Erdogan niemals ein­greifen dürfen. Ihm selbst wird das viel­leicht nicht auf­ge­fallen sein, denn er denkt erstens nach der Art eines Dik­tators und zweitens nach der Art des Korans – was sich unheilvoll ergänzt. Schröder und auch der Noch-Außen­mi­nister Sigmar Gabriel hätten das indes wissen können, denn sie denken rechts­staatlich. Aber viel­leicht nicht weit genug. Ent­weder wurde die Infor­mation duch­ge­stochen oder einer der beiden wollte sich als Rettter Steudtners feiern lassen – egal, Schwamm drüber. Der nächste Außen­mi­nister wird nicht Gabriel heißen.

Wo bleibt der Aufschrei?

Statt Erleich­terung sollte die anhal­tende Besorgnis die Schlag­zeilen beherr­schen. Die Klarheit der Sicht­weise, mit der Pol­tiker von den Grünen und der Linken die Isla­mi­sierung unter radi­kalen Vor­zeichen ben­nenen, die am Bos­porus, in Ana­tolien und im Westteil Arme­niens – der von Türken nach dem Völ­kermord an den Arme­niern jetzt Ost-Ana­tolien genannt wird – um sich greift, diese Klarheit ist beein­dru­ckend. Die Sicht­weise eines Cem Özdemir, eines Özcan Mutlu, einer Sevim Dagdelen – sie wäre zum Bei­spiel auch für die Union unver­zichtbar, um dem Erdogan-Regime gebührend zu begegnen. Aber Poli­tiker wie Volker Kauder oder Ralph Brinkhaus, die hier seit Jahren mit Mut und Umsicht vor­an­gehen, sind rar gesät. Dabei ist die Lage unver­ändert dringend.

Deniz Yücel und über 50 weitere Deutsche sind weiter in Haft, ganz zu schweigen von den über 50.000 Men­schen, die das Erdogan-Regime nach dem Putsch, der so ungelenk von­statten ging und wie bestellt wirkte, inhaf­tiert hat. Recep Tayyib Erdogan hat sich mit einem durch­sich­tigen Manöver auf dem diplo­ma­ti­schen Parkett Luft ver­schafft. Gott sei Dank, Peter Steudtner und einige seiner Mit­ge­fan­genen von Gren­peace sind frei! In die Freude mischt sich indes Bit­terkeit, denn Erdogan kann nun, nachdem er sich etwas Bein­freiheit ver­schafft hat, munter wei­ter­machen. Er wird die Deut­schen wei­terhin demü­tigen, denn die Rechnung für die Armenien-Reso­lution des Bun­des­tages aus dem Jahre 2015, zum 100. Jah­restag des Völ­ker­mordes an den Arme­niern, dürfte aus seiner Sicht noch nicht beglichen sein. Mit der Taquiyya, der im Islam aus­drücklich erlaubten „Täu­schung der Ungläu­bigen“, möchte er mit dem Fall Steudtner davon ablenken, dass er hier und in allen anderen Fragen strikt nach der Maxime eines mus­li­mi­schen Got­tes­kriegers handelt. Und dass er ziel­strebig er eine mus­li­mische Dik­tatur erichtet, die keine Erbarmen mit Anders­gläu­bigen kennt, sondern nur deren Zwangs­mission, deren Ver­treibung – oder deren Ermordung.

Zwi­schen Bos­porus und Ararat wird in diesen Jahren ziel­strebig und brutal eine eth­nisch gesäu­berte, „ras­sisch reine“ Türkei errichtet, und zwar letzt­endlich nach den Regeln, die im Koran zu lesen stehen. Was am Ende des Falles Steudtner – denn der Rest des Pro­zesses gegen ihn ist nun wirklich nur noch Spie­gel­fech­terei – übrig­bleibt: eine aber­mailige Demü­tigung der deut­schen Diplo­matie. Und Erdogan wird für Steudtner zudem einen ordent­lichen Preis erzielt haben. Denn mit Nicht-Moslems kann nach Lesart des Koran auch gehandelt werden, sie sind, wenn es dessen bedarf, eine Ware. So ist es, alles in allem, eine kra­chende Nie­derlage für die Men­schen­rechte ebenso wie für die Freiheit, so weit Erdogans Arm reicht.

Sebastian Sigler / TheEuropean.com