Zum 70sten Geburtstag von Gregor Gysi: Vom DDR- zum BRD Sys­temling bis in die Pleite Berlins

Gregor Gysi hat viele gute Wort­mel­dungen im Bun­destag gebracht. Er sagt manchmal sehr uner­schrocken Wahr­heiten, vor denen sich andere drücken. Unter den heu­tigen Polit­schranzen ist er eine Per­sön­lichkeit. Vor zwei Tagen feierte er seinen 70sten Geburtstag, und erhielt, wie kann es anders sein, Lobes- und Hul­di­gungs­ar­tikel in den Mainstreammedien.
Vera Lengsfeld, die Auf­rechte, nahm dies zum Anlass, ein paar Facetten der glit­zernden Per­sön­lichkeit Gysis zu beleuchten, die bei den Lob­prei­sungen freundlich lächelnd unter den Tisch gekehrt wurden.
Gregor Gysi warf sich beim letzten Par­teitag der SED an die Front und argu­men­tierte kämp­fe­risch gegen die Auf­lösung der DDR an, die vorher so gut wie beschlossen war. Sein Haupt­ar­gument war, schreibt Vera Lengsfeld, dass dann das gesamte Ver­mögen der Partei und der DDR ver­loren sei. Gregor Gysi wurde zum letzten Par­tei­vor­sit­zenden der SED gewählt, die er sofort in PDS (Partei des demo­kra­ti­schen Sozia­lismus) umbe­nannte. Und, seinem Rede­duktus folgend, gründete er „als erste Amts­handlung eine Arbeits­gruppe zur Sicherung des Parteivermögens“.
Doch das Ver­mögen der DDR war dann irgendwie trotzdem weg, 24 Mil­li­arden DM waren einfach ver­schwunden. Ein Unter­su­chungs­aus­schuss recher­chierte. Doch Gysi und Genossen, wie Lothar Bisky und der heutige Frak­ti­ons­vor­sit­zende der Linken im Bun­destag Dietmar Bartsch, ver­wei­gerten mit gleich­lau­tenden Erklä­rungen die Aussage. Sie würden sich der Straf­ver­folgung aus­setzen, wenn sie ihr Wissen preis­gäben. Sie kamen mit einer geringen Geld­strafe davon. Sie wurden nie wieder befragt, auch nicht, als sie wegen Ver­jährung keine Straf­ver­folgung mehr befürchten mussten.“
Für den 17. Januar 1988, vor 30 Jahren, plante die Staats­si­cherheit einen schweren Schlag gegen die Oppo­si­tio­nellen und die evan­ge­lische Kirche in der DDR. Die füh­renden Mit­glieder der etwa 3000 Leute starken DDR-Kri­tiker-Bewegung sollten ver­haftet werden, die Bewegung zer­schlagen. Innerhalb weniger Stunden wurden 105 Men­schen ver­haftet, doch die Soli­da­ri­täts­treffen in den Kirchen begannen sofort und wuchsen jeden Abend an. Die Medien berich­teten in alle Welt. Ein Desaster. Staatschef Hon­ecker musste öffentlich die Frei­lassung der Inhaf­tierten ver­künden, um die inter­na­tio­nalen Wogen der Empörung zu glätten. Sie wurden in den Westen abge­schoben. Zu dieser Zeit war Gregor Gysi Rechts­anwalt und vertrat Bür­ger­rechtler, setzte aber, wie alle anderen Anwälte, die Par­tei­linie durch, die Oppo­si­tio­nellen aus dem Land zu schaffen. Vera Lengsfeld war eine der letzten Inhaf­tierten. Sie wider­setzte sich dem Drängen ihres Anwaltes, Wolfgang Schnur, in den Westen zu gehen.
Vera Lengsfeld berichtet: Aus den Pro­testen gegen die Ver­haf­tungen vom 17. Januar 1988 ent­wi­ckelte sich der Mon­tags­kreis in der Leip­ziger Nikolai-Kirche, 1989 ent­standen daraus die Mon­tags­gebete. Am 4. Sep­tember 1989 waren in und vor der Kirche ca. 7000 Men­schen ver­sammelt, und der erste Schwei­ge­marsch auf dem Ring von Leipzig wurde gestartet, die erste Mon­tags­dem­in­stration. Am 9. Oktober waren es schon 100.000 Demons­tranten, und in 30 Städten gab es Mon­tags­märsche. Im November fiel die Mauer. Das Volk hatte die Gesin­nungs­dik­tatur besiegt.

Gregor Gysi erwies sich aber auch unter den neuen Gege­ben­heiten als sys­tem­tragend und anpas­sungs­fähig. Auch seine Ver­gan­genheit managte er recht gut. So schreibt Vera Lengsfeld:
Gysi hat durch eine Unmenge von Pro­zessen erreicht, dass Fragen nach seiner Sta­si­mit­arbeit nicht mehr gestellt werden. Die Fest­stellung des Immu­ni­täts­aus­schusses des Deut­schen Bun­des­tages von 1998, dass die Sta­si­mit­arbeit des Abge­ord­neten Gysi erwiesen sei, kann man im Internet nach­lesen. Aber kein Qua­li­täts­jour­nalist und kein Recher­che­verbund inter­es­siert sich dafür. So wird Gysi an seinem 70. Geburtstag als Polit-Enter­tainer gefeiert und kann es als besonders Geschenk ansehen, dass in unserer bunten Ein­heits­re­publik Deutschland Denun­zi­anten nicht mehr als Schufte, sondern als tapfere Kämpfer für Demo­kratie ange­sehen werden.“
Soweit Vera Lengsfeld. Gregor Gysis Geschick, seinen Namen auch später aus anderen, unan­ge­nehmen und wenig publi­kums­wirk­samen Sze­narien her­aus­zu­halten, zeigt sich auch beim „Ber­liner Ban­ken­skandal“, der letztlich die Stadt Berlin ruinierte.
Das ganze Kon­strukt flog erst 2001 auf, da gärte des Problem aber schon seit dem Mau­erfall vor sich hin. In der Euphorie der „blü­henden Land­schaften“ wurde gebaut, wie wild. Das Land Berlin rief 1994 eine Holding ins Leben, in der die Ber­liner Bank, die Berlin Hyp (Hypo­theken- und Pfand­briefbank) sowie die öff.-rechtl. Lan­desbank in der „Bank­ge­sell­schaft Berlin“ zusam­men­ge­fasst war.
Um groß zu werden, vergab man groß­zügige Kredite für Bau­vor­haben. Die wurden auch umge­setzt, doch wurden viele davon auf dem Markt nicht ange­nommen. Neu gebaute Ein­kaufs­zentren bekamen die Laden­ge­schäfte einfach nicht ver­mietet, Büro­häuser fanden keine Inter­es­senten. Und so war die „Bank­ge­sell­schaft Berlin“ bereits 1996, nach nur zwei Jahren, eigentlich pleite. Die Mil­li­ar­den­ver­luste stiegen und stiegen.
Den Poli­tikern, die auch in füh­renden Posi­tionen der „Bank­ge­sell­schaft Berlin“ (BGB) saßen, drohte Ungemach. Diese ful­mi­nante Pleite wäre eigentlich das Ende ihrer Kar­riere gewesen. Besonders, da noch der Ver­dacht nahe lag, es sei Amigo-Wirt­schaft betrieben worden.
Der große, starke Mann der CDU, Klaus Lan­dowsky, Frak­ti­onschef und Vor­stand der Berlin Hyp hatte bei­spiels­weise eine halbe Mil­liarde Mark an die dubiose und von Pleite bedrohte Immo­bi­li­en­firma „Aubis“ abge­nickt. Zufäl­li­ger­weise wurde das Unter­nehmen von zwei CDU-Par­tei­freunden geführt. Die beiden erwiesen sich als dankbar für die Unter­stützung und über­gaben 1995 eine Par­tei­spende in Höhe von 40.000 Mark an ihren Freund Klaus Lan­dowsky. Das wurde bekannt, und „Lando“ trat zurück. Doch die Tal­fahrt der „Bank­ge­sell­schaft Berlin“ nahm indes weiter Fahrt auf.
Die Immo­bilien standen weiter leer und ver­ur­sachten weiter Kosten. Man über­legte sich einen Ausweg, ohne dass es die gesamte, darin ver­wi­ckelte Poli­ti­ker­riege den Kopf kostete. Klaus Lan­dowsky wurde als Sün­denbock geopfert und stand mehrfach vor Gericht.
Derweil wurden die unver­miet­baren und unver­käuf­lichen Schrott­be­ton­burgen in einen Inves­ti­ti­ons­fonds gegeben und zum Kauf auf dem Finanz­markt ange­boten. Das Zuckerl: Es wurde eine Miet­rendite von 10% der Inves­ti­ti­ons­einlage garan­tiert, und das für 25 Jahre. Das Geld kam aus den Neu­ver­käufen von Fonds­an­teilen, die als Miet­rendite gleich wieder aus­ge­zahlt wurden. Irgendwann gab es keine Fonds­an­teile mehr zu ver­kaufen, und alle Anteils­eigner wollten ihre 10% Miet­rendite. Eine durchaus absehbare Ent­wicklung. In der Ban­ken­branche wussten die Kon­kur­renten der BGB schon Mitte der 90er Jahre, dass sich das “Ber­liner Modell” nicht rechnen konnte.
Eine Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft — „prüfen-beraten-handeln“ — wurde hin­zu­ge­zogen. Ein weltweit ope­rie­rendes Unter­nehmen, die BDO. Offenbar nahmen die den Auftrag nicht allzu ernst. Obwohl ein Son­der­gut­achter schon 1997 eine war­nende Expertise zu diesen Fonds­ge­sell­schaften der BGB abge­geben hatte, igno­rierten die Wirt­schafts­prüfer der BDO alle War­nungen. Der Spiegel schrieb 2002 hierzu:
Statt dessen machten die Wirt­schafts­prüfer offen­sichtlich gemeinsame Sache mit den dama­ligen Managern der Ber­liner Bank­ge­sell­schaft. Dass die BDO-Leute die Bilanzen der Immo­bi­li­en­tochter IBG wider bes­seres Wissen falsch tes­tierten und nicht Sturm gegen dubiose Immo­bi­li­en­fonds liefen, könnte sich in naher Zukunft zu einem der größten Haf­tungs­fälle in der deut­schen Nach­kriegs­ge­schichte ausweiten.“
Die Schulden der Ber­liner Superbank waren auf ver­mutlich 58 Mil­li­arden ange­wachsen. Die Herren Poli­tiker, die ihre gut dotierten Posi­tionen in der Bank und der Politik hatten, kamen auf den raf­fi­nierten Vor­schlag, das Land Berlin solle doch den Fonds­ei­gen­tümern die Rendite zahlen. Ene-mene-Miste, es rappelt in der Kiste, ene- mene- meck, und du musst weg: Diesmal wurde Ober­bür­ger­meister Eberhard Diepken wegen Kor­rup­ti­ons­vor­würfen geopfert und musste zurück­treten und die Ber­liner Groko war beendet.
Nach wie vor musste aber das Problem gelöst werden, was nun mit der „Bank­ge­sell­schaft Berlin“ und den For­de­rungen der Fonds­ei­gen­tümer zu geschehen hatte. Auf jeden Fall musste der Supergau ver­mieden werden.
In dieser Situation hätten die linken Par­teien die Sache öffentlich machen müssen, das ganze Ausmaß benennen und Wider­stand leisten müssen gegen die unver­schämte For­derung der „Bank­ge­sell­schaft Berlin“, der Fonds­ei­gen­tümer und der darin ver­wi­ckelten Poli­tiker, kur­zerhand den gigan­ti­schen Zig-Mil­li­arden-Schul­denberg dem Land Berlin auf­zu­bürden – also den kleinen Steu­er­zahlern und Bürgern. Die Linken hätten die ein­fachen Leute schützen müssen vor dem Groß­ka­pital, allen voran Gregor Gysi.
Doch kei­neswegs. Aus­ge­rechnet der Linke Gregor Gysi half mit, den kleinen Mann für die Mil­li­ar­den­pleite zahlen zu lassen. Es gab eine Koalition von SPD und Gysis PDS. Gregor Gysi wurde Wirt­schafts­se­nator und als solcher unter­stützte er den Kurs, die Pleite der „Bank­ge­sell­schaft Berlin“ zu ver­schleppen. Berlin musste Garantien über 20 Mil­li­arden Euro über­nehmen. Die öffentlich recht­liche Holding wurde – schwups­di­wupps – eine Akti­en­ge­sell­schaft und für 4,6 Mil­li­arden Euro an den Spar­kas­sen­verband verkauft.
Berlin war im Prinzip rui­niert. Die Ber­liner Bürger zahlten den Preis schmerzhaft. Schwimm­bäder, Theater, Biblio­theken, Jugend­zentren, Frau­en­häuser, Sozi­al­ein­rich­tungen aller Art wurden geschlossen. Sozialer Woh­nungsbau wurde weit­gehend ein­ge­stellt. Sozi­al­leis­tungen aller Art gekürzt. Es traf gerade die sozial Schwachen mit voller Wucht, und das unter einer Rot-Roten Regierung. Gregor Gysi war einer der füh­renden Köpfe dabei. Seitdem kommt Berlin aus dem Schul­den­sumpf nicht mehr heraus.
Die Auf­ar­beitung des Falles, sowohl was die finan­zielle, als auch recht­liche Seite betrifft, dauerte Jahre und endete letzt­endlich mit einem hilf­losen Schul­ter­zucken. Was das „Bank­ge­sell­schaft Berlin“-Desaster letzt­endlich wirklich gekostet hat, wird wahr­scheinlich niemals geklärt werden. Genauso wenig wie der Ver­bleib des DDR-Ver­mögens. Und immer blutet der Bürger.
Etwa ein Dutzend Bank­ma­nager wurde wegen Untreue bei der Vergabe von Kre­diten ange­klagt. Sie wurden letzt­endlich alle mit der Begründung frei­ge­sprochen, dass ein Vorsatz nicht bewiesen werden konnte. Auch Klaus Lan­dowsky wurde 2015 mit der­selben Begründung frei­ge­sprochen. Das Land­ge­richt kam zu dem Schluss, es bestehe kein öffent­liches Interesse mehr an einer straf­recht­lichen Ver­folgung, die Schuld sei zu gering.