Flä­chen­de­ckende Über­wa­chung in Deutschland: Wie Merkel uns bewusst belügt

2013 deckte Edward Snowden auf, dass die USA nicht nur alle Deut­schen, sondern die ganze Welt flä­chen­de­ckend über­wachen. Es war Wahl­kampf und Merkel fand das gar nicht lustig. „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“, waren ihre Worte. Pas­siert ist freilich nichts und was man sich schon denken konnte, wird heute bestätigt: Merkel hat kein Problem mit dem Abhören, sie findet es nur nicht gut, wenn es bekannt wird.
(Von Thomas Röper)
Der Spiegel schreibt über den dama­ligen stell­ver­tre­tenden Sicher­heits­be­rater von Obama, Ben Rhodes, der jetzt seine Erin­ne­rungen ver­öf­fent­licht hat. Da kann man lesen, dass Merkel kein Problem mit dem Abhören hatte, wie der Spiegel schreibt: „Ben Rhodes, damals stell­ver­tre­tender Sicher­heits­be­rater von US-Prä­sident Barack Obama, sagt, Merkel sei nur ver­ärgert gewesen, weil für sie „ein PR-Problem in der deut­schen Öffent­lichkeit ent­stand. Nicht wegen des Abhörens selbst“.“
Nun muss man die Vor­ge­schichte im Hin­terkopf haben, im Rück­blick werden Zusam­men­hänge immer besser sichtbar. Im Sommer 2013 erschüt­terte Edward Snowden die bis dahin heile Welt der US-Geheim­dienste. Mit seinen Ent­hül­lungen über die welt­weiten Aus­spä­hungen der NSA trat er eine Lawine los. Plötzlich war bekannt, dass die USA gna­denlos alles und jeden aus­spio­nieren, egal ob Freund oder Feind. Für Deutschland bedeutete das, dass bekannt wurde, wie die NSA alle Tele­fonate in Deutschland abhört und alle E‑Mails liest. Und das drei Monate vor der Bun­des­tagswahl. Merkel war not amused.
Daher regten sich die Ver­treter des Kanz­ler­amtes medi­en­wirksam auf und es wurde davon geredet, dass ein „No-Spy-Abkommen“ mit den USA geschlossen werden sollte. Nur war das eben auch gelogen, wie wir spä­testens seit 2015 wissen. In der Süd­deut­schen konnte man dazu 2015 lesen: „Nach außen tut diesen Schritt als erster der damalige Kanz­ler­amts­mi­nister Ronald Pofalla am 12. August 2013, als er vor der Haupt­stadt­presse behauptet, die US-Seite habe ‘den Abschluss eines No-Spy-Abkommens ange­boten’. Bei Pofalla bleibt es nicht. Es folgen, noch vor der Bun­des­tagswahl, Regie­rungs­sprecher Steffen Seibert, der damalige Innen­mi­nister Hans-Peter Friedrich und die Bun­des­kanz­lerin selbst. Die For­mu­lie­rungen vari­ieren, die Bot­schaft bleibt die­selbe: Es wird ein No-Spy-Abkommen geben. Kanz­lerin Merkel for­mu­liert es ein wenig vor­sich­tiger, sie sagt, die Ame­ri­kaner seien bereit, ‘mit uns ein soge­nanntes No-Spy-Abkommen zu ver­handeln’.
Blöd nur, dass das alles gelogen war. Die Regierung wusste, dass die USA sich auf so ein Abkommen nicht ein­lassen würden und so hat die Bun­des­re­gierung nicht einmal ernsthaft danach gefragt. Es war eine reine Show für die Öffent­lichkeit und von vorne bis hinten gelogen, wie man 2015 weiter bei der Süd­deut­schen lesen konnte: „Neue Doku­mente, die Süd­deutsche Zeitung, NDR und WDR ein­sehen konnten, zeigen: Zu diesem Zeit­punkt wusste die gesamte Spitze der Bun­des­re­gierung, dass die US-Regierung eine solche Zusage nicht gegeben hatte. Damit erreicht die Affäre ein neues Niveau. Es scheint klar zu sein, dass die Regierung absichtlich getäuscht hat – mithin also das Gegenteil dessen getan hat, was Regie­rungs­sprecher Seibert vor­ver­gangene Woche behauptet hatte: Man habe ’nach bestem Wissen und Gewissen’ infor­miert. Eher schon wider bes­seres Wissen.
Es wurden nämlich 2015 E‑Mails aus der Regierung bekannt. So stand in einer E‑Mail, wie man die Öffent­lichkeit beru­higen wollte: „Darin heißt es, Anfang August werde eine hoch­rangige Dele­gation deut­scher Geheim­dienst­ver­treter nach Washington fliegen, um die Spitzen der US-Geheim­dienste zu treffen. ‘Das Ziel der Gruppe wird es sein, eine schrift­liche Bestä­tigung der US-Seite zu bekommen, dass US-Geheim­dienste deut­sches Recht in der Ver­gan­genheit nicht gebrochen haben und in der Zukunft nicht brechen werden.’ Diese schrift­liche Bestä­tigung wolle ‘Minister Pofalla am 12. August prä­sen­tieren’, und zwar aus­drücklich auch der Presse.
Man beachte: Die Regierung wollte von den USA lediglich eine schrift­liche Bestä­tigung, dass sie sich an deutsche Gesetze halten. Eigentlich müsste das selbst­ver­ständlich sein. Statt­dessen aber pas­sierte Fol­gendes: „Diese schrift­liche Bestä­tigung bekamen die Deut­schen aber nicht. Womit die deutsche Rei­se­gruppe zurückkam, ist einem Papier vom 7. August 2013 zu ent­nehmen, aus dem SZ, NDR und WDR nun erstmals zitieren. Es ist das Schlüs­sel­do­kument dieser Affäre. und als Emp­fän­gerin ist ein­ge­tragen: Frau Bun­des­kanz­lerin. Dar­unter der Vermerk: ‘Lag der Bun­des­kanz­lerin vor’. In diesem Dokument wird zunächst erklärt, die Ver­treter der US-Geheim­dienste hätten die grund­sätz­liche Bereit­schaft signa­li­siert, ein No-Spy-Abkommen zu ver­handeln. Jedoch: „Über das ‚Ob‘ müsse aller­dings die Politik entscheiden.“
Das bedeutet im Klartext, dass Merkel und Obama darüber hätten sprechen müssen, aber diese Gespräche hat Merkel nach allem, was man heute weiß, nie ange­stoßen. Sie war daran einfach nicht inter­es­siert. Es war ihr, die sie so gerne über ihre ost­deutsche Her­kunft redet und darüber, wie schlimm es in dem „Über­wa­chungs­staat“ DDR war, egal, dass die USA die Deut­schen wesentlich gründ­licher über­wachen, als es die Stasi je getan hat. Die Stasi hat ein­zelne Men­schen über­wacht, die NSA über­wacht pau­schal alle Bürger.
Merkel gewann die Wahl, und es gelang der Regierung und den Medien, das Thema so klein wie möglich zu halten. Obwohl sich an den Über­wa­chungs­prak­tiken der NSA nichts geändert hat, spielt das Thema in der Öffent­lichkeit keine Rolle mehr. Brisant wurde es nochmal, als Anfang 2014 auch noch her­auskam, dass die USA sogar Merkels Handy abhörten. Aber auch da war Merkels öffentlich zur Schau gestellte Ent­rüstung gespielt. Das geht laut Spiegel aus den Erin­ne­rungen von Obamas dama­ligem stell­ver­tre­tenden Sicher­heits­be­rater hervor: „Kanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat bei den Ame­ri­kanern gegen das Abhören ihres Handys durch US-Geheim­dienste offenbar weniger heftig pro­tes­tiert, als sie die Öffent­lichkeit im Oktober 2013 glauben machte (‘Aus­spähen unter Freunden – das geht gar nicht’). Ben Rhodes, damals stell­ver­tre­tender Sicher­heits­be­rater von US-Prä­sident Barack Obama, sagt, Merkel sei nur ver­ärgert gewesen, weil für sie ‘ein PR-Problem in der deut­schen Öffent­lichkeit ent­stand. Nicht wegen des Abhörens selbst’.
Für Merkel war es also kein Problem, dass alle, inklusive sie selbst, abgehört werden. Sie ärgerte nur, dass es ans Licht gekommen war. Und auch über­rascht kann sie nicht gewesen sein, wie man im Spiegel lesen kann: „Laut Rhodes hatten Merkel und Obama im Sommer 2013 bereits mehrfach über das Thema gesprochen. Als Obama im Juni Berlin besuchte, soll Merkel ihn auf einen Balkon des Kanz­leramts gebeten, nach Osten gewiesen und an die Über­wa­chung durch die Stasi erinnert haben. Die Deut­schen seien da emp­findlich. (…) Für die deut­schen Nach­rich­ten­dienste könne der Lausch­an­griff auf Merkel hin­gegen nicht über­ra­schend gekommen sein. Sie hätten davon doch ‘gewusst oder hätten es wissen müssen’, so der Obama-Mann.
Sie hatte also während des Wahl­kampfes und der Snowden-Ent­hül­lungen mit Obama darüber gesprochen und dabei schon gewusst, dass sie abgehört wurde. Als als es ein halbes Jahr später auch bekannt wurde, da tat sie dann ganz über­rascht. Aber das „No-Spy-Abkommen“, dass die Regierung dann schein­heilig für die Öffent­lichkeit ins Spiel brachte, wurde gar nicht mehr erwähnt. Merkel wollte es nie abschließen.
Und auch die deut­schen Geheim­dienste wussten Bescheid, haben aber nichts dagegen getan. Wozu aber braucht Deutschland Geheim­dienste, wenn die nichts gegen Spionage einiger Länder unter­nehmen? Selbst dann nicht, wenn sie davon wissen.
Aller­dings werden Sie, wenn Sie das Buch von Rhodes kaufen sollten, in der deut­schen Version nichts über die Szene auf dem Balkon finden, denn die „Memoiren erscheinen diese Woche bei C.H. Beck. Die Bal­kon­szene fehlt, obwohl sie ursprünglich im Manu­skript stand. Rhodes sagt, er habe 40.000 Wörter gestrichen, weil der Text zu lang gewesen sei.“ Man muss es also wohl in der eng­li­schen Ori­ginal-Version suchen.
Es ist nichts Unge­wöhn­liches, dass Bücher in ver­schie­denen Sprachen einen unter­schied­lichen Inhalt haben. Wer zum Bei­spiel die Erin­ne­rungen von Bill Clinton liest, der wird in der deut­schen Version viel über deutsche Poli­tiker lesen. Diese Pas­sagen fehlen in anderen Sprachen. Clinton hat, damit sich das Buch besser ver­kauft, für jede Sprache extra Pas­sagen ein­gefügt. Es ist daher nicht unge­wöhnlich, wenn in dem Rhodes-Buch Ände­rungen für den deut­schen Markt vor­ge­nommen wurden. Nur kann mir niemand erzählen, dass die Balkon-Szene in der deut­schen Version nur durch einen dummen Zufall gestrichen wurde.
Ich habe in diesem Beitrag geschrieben, dass Politik und Medien das Thema so klein wie möglich halten. Wie die Medien das im Ein­zelnen machen, zeigt der Artikel des Spiegel, den ich hier zitiert habe, sehr anschaulich. Man sollte doch meinen, dass ein solcher Artikel in das Ressort „Politik“ gehört, oder? Er fand sich aber im Ressort „Netzwelt“. Das bedeutet, dass viele poli­tisch inter­es­sierte Leser ihn gar nicht sehen. Und es bedeutet, dass er von denen, die sich für Com­puter usw. inter­es­sieren und daher das Ressort „Netzwelt“ ver­folgen, auch kaum gelesen wird, da er mit dem für sie inter­es­santen Thema nichts zu tun hat. Der Spiegel hat also darüber berichtet, sogar objektiv, und man kann ihm nicht vor­werfen, hier allzu viel ver­schwiegen zu haben. Blöd nur, dass der Spiegel den Artikel dann so in seinen Res­sorts ver­steckt, dass ihn mög­lichst wenige Men­schen lesen.
Eigentlich gehört ein solcher Artikel auf die Titel­seite im Ressort „Politik“, denn im Grunde deckt er einen Skandal auf: Die Bun­des­kanz­lerin hat ihre Bürger und Wähler wis­sentlich und vor­sätzlich belogen, die ganze Regierung hat mit­ge­macht und das heutige „freie“ Deutschland ist in Wahrheit ein schlim­merer Über­wa­chungs­staat, als es die DDR je gewesen ist.
Wenn Sie also das nächste Mal lesen, dass wieder angeblich die bösen Russen oder Chi­nesen irgendwo irgend­einen Com­puter gehackt haben oder sonstwie spio­nieren und die Medien sich darüber ent­setzlich auf­regen, dann stellen Sie sich fol­gende Frage: Warum regen sich die Medien über den Ver­dacht, dass Russen oder Chi­nesen spio­niert haben sollen so auf, während über die unbe­strittene Tat­sache, dass die USA wirklich alles in Deutschland aus­spio­nieren, schweigend hin­weg­ge­sehen wird?
Auch dies ist Teil der Stra­tegie, mit der die Medien den NSA-Skandal unter den Teppich kehren. Sie berichten einfach nicht darüber, machen aber ande­rer­seits jeden Ver­dacht gegen ein anderes Land zu einem Skandal. Damit wird die Auf­merk­samkeit der Leser von den USA abge­lenkt. Und wenn die Medien mal darüber berichten, so wie hier der Spiegel, dann wird der Artikel im „fal­schen“ Ressort plat­ziert, damit ihn mög­lichst wenige lesen.
Inter­essant fand ich damals eine Äußerung von Putin zu dem Thema. Im April 2014 fand seine all­jähr­liche Sendung „Direkter Draht zum Prä­si­denten“ statt. Dort stellte sich Putin vier Stunden lang live den Fragen der Bürger. In Deutschland wird dann immer über „Putins Pro­pa­ganda-Show“ geschrieben. 2014 sagte Putin dort, dass es schwierig sei, offen mit euro­päi­schen Poli­tikern zu sprechen, da sie überall befürchten müssen, abgehört zu werden. Er brachte auch kon­krete Bei­spiele und erzählte, dass manche euro­päische Poli­tiker selbst in ihrem eigenen Büro in per­sön­lichen Gesprächen zu flüstern beginnen, wenn sie etwas bri­santes sagen wollen. Er nannte aller­dings (leider) keine Namen, das tut er bei solchen Gele­gen­heiten nie, um nie­manden bloß zu stellen.
Das Publikum fand das aber sehr lustig und es gab lautes Gelächter im Saal, wor­aufhin Putin hin­zu­fügte, dass das kein Scherz gewesen sei und dass es ein echtes Problem ist, wenn man nicht mal unter vier Augen völlig offen reden kann. Weitere Bei­spiele für solche Aus­sagen Putins finden Sie übrigens in meinem Buch.
Im Zuge des NSA-Skandals, den Snowden ent­hüllt hatte, war damals auch ans Licht gekommen, wie flä­chen­de­ckend die USA „ver­bündete“ Regie­rungen und auch die EU in Brüssel abhören. Putin sprach das öffentlich an, während man so etwas aber nie von west­lichen Poli­tikern hörte, die gegen die Praxis der USA nicht aufbegehren.
 


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru