Der Zen­tral­banken-Mar­xismus — Auf dem Weg in die Katastrophe

Von Thorsten Polleit — Im „Manifest der Kom­mu­nis­ti­schen Partei“ aus dem Jahr 1848 nennt Karl Marx (1818–1883) zehn soge­nannte „Maß­regeln“ – des­po­tische Ein­griffe in die Eigen­tums­rechte –, die für die gesell­schaft­liche Umwälzung, die zum Kom­mu­nismus führen soll, not­wendig seien. Maß­regel fünf ist die „Zen­tra­li­sation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Natio­nalbank mit Staats­ka­pital und aus­schließ­lichem Monopol“. Eine überaus hell­sichtige For­derung. Umso mehr, als in der Zeit, als Marx sie for­mu­liert hat, Edel­me­talle, Gold und Silber, Geld waren.
Gold und Silber lassen sich bekanntlich nicht beliebig ver­mehren. Mit ihnen ist es daher auch nicht ganz so einfach, die Kre­dit­menge nach poli­ti­scher Willkür zu beein­fussen. Marx scheint aber schon geahnt zu haben, was alles möglich sein wird, wenn der Staat in die Lage ver­setzt wird, Geld per Kredit zu schaffen, wenn er erst einmal das Monopol über die Geld­pro­duktion an sich gerissen hat. Schon der bri­tische His­to­riker Thomas Fuller (1608–1661) hatte geschrieben: „Geld ist die Sehne sowohl der Liebe als auch des Krieges.“
Die Idee staatlich beherrschter Zen­tral­banken gab es auch schon lange vor Marx. Die Schwe­dische Zen­tralbank (Sveriges Riksbank) bei­spiels­weise wurde 1668 gegründet, die Bank von England (Bank of England) 1694. Die betrü­ge­ri­schen Machen­schaften dieser Ein­rich­tungen waren bald bekannt, spä­testens mit den Arbeiten des bri­ti­schen Öko­nomen David Ricardo (1772–1823). Er zeigte 1810 in „The High Price of Bullion“ auf, dass die Geld­ent­wertung unmit­telbare Folge der Aus­weitung der Geld­menge war – damals in Form von Papier­noten, die nicht durch Edel­me­talle gedeckt waren.
Doch die Erkenntnis, dass Zen­tral­banken, haben sie erst einmal das Monopol der Geld­pro­duktion inne, ihre Macht miss­brauchen, indem sie Günst­lings­wirt­schaft betreiben und für eine unso­ziale Geld­ent­wertung sorgen, hat es bis auf den heu­tigen Tag nicht ver­mocht, die mons­tröse Zen­tral­bankidee zu dis­kre­di­tieren. Vielmehr scheint hier Marx‘ dia­lek­ti­scher Mar­xismus gefruchtet zu haben: Das, was ist, hat das Bewusstsein bestimmt. Und so konnte sogar weltweit ein unan­ge­foch­tener Zen­tralbank-Mar­xismus entstehen.
Spä­testens am 15. August 1971 wurde Marx‘ Vision Wirk­lichkeit: Die US-Regierung beendete die Ein­lös­barkeit des US-Dollar in phy­si­sches Gold – das Geld der zivi­li­sierten Welt wurde aus dem Verkehr gezogen. Durch diesen Hand­streich stülpten die Ame­ri­kaner der Welt ein unge­decktes Papier­geld­system über. Seit diesem Tag sind alle bedeu­tenden Wäh­rungen ent­kernt. Sie sind nur noch unge­decktes Geld, mono­po­li­siert durch die staat­liche Zen­tralbank, pro­du­ziert durch Kre­dit­vergabe, der kei­nerlei Erspar­nisse gegenüberstehen.
Ludwig von Mises für jedermannDas Geld­schaffen durch Kre­dit­vergabe hat die Volks­wirt­schaften zu wahren Schuld­sklaven ver­kommen lassen: Kon­su­menten, Unter­nehmen und vor allem die Staaten können ohne das fort­ge­setzte Ver­mehren der Kredit- und Geld­mengen, bereit­ge­stellt zu immer nied­rigen Zinsen, nicht mehr ihre Rech­nungen zahlen. Und die Zen­tral­banker sind auf­ge­stiegen zur eigent­lichen Macht­zen­trale: Es sind ihre geld­po­li­ti­schen Beschlüsse, die maß­geblich über das Wohl und Wehe ganzer Volks­wirt­schaften befnden.
Mit dem will­kür­lichen Geld­schaffen „aus dem Nichts“ führt eine recht kleine Clique von Zen­tral­bank­räten und ihrem Mit­ar­bei­terstab eine kolossale „Umwertung der Werte“ (Friedrich Nietzsche) herbei: Chro­nische Inflation ent­mutigt das Sparen; Ver­schulden wird kul­ti­viert; durch Her­un­ter­ma­ni­pu­lieren des Zinses wird die Zukunft zugunsten der Gegenwart ent­wertet; das maßlose Anwachsen des Staates wird befördert auf Kosten bür­ger­licher und unter­neh­me­ri­scher Freiheiten.
Dadurch ist dem Zen­tralbank-Mar­xismus in Europa etwas besonders Erstaun­liches gelungen: Mitt­ler­weile haben dort 19 Nationen mit ins­gesamt 337 Mil­lionen Men­schen ihre Selbst­be­stimmung in der Geld­frage auf­ge­geben und sich dem Diktat einer Ein­heits­zen­tralbank, die eine unge­deckte Ein­heits­währung ausgibt, unter­worfen. Zwar war und ist der Zen­tralbank-Mar­xismus in Europa äußerst erfolg­reich. Seine Speer­spitze ist aber nach wie vor die US-ame­ri­ka­nische Federal Reserve (Fed).
Die Welt hängt heute mehr denn je am unge­deckten US-Dollar wie an einem Flie­gen­fänger. Alle anderen Wäh­rungen bauen auf dem Greenback auf. Und es ist die Fed, die de facto die Kredit- und Liqui­di­täts­kon­di­tionen auf den inter­na­tio­nalen Finanz­märkten bestimmt. Die Fed steht einem welt­weiten Zen­tralbank-Kartell vor, das über sein Geld­mo­nopol zur zen­tralen Lenkung und Kon­trolle der Welt­wirt­schaft führen wird. Man kann also nur hoffen, dass den Zen­tralbank-Mar­xisten etwas dazwi­schen­kommt. Und zwar mög­lichst schnell.


Thorsten Polleit, Jahrgang 1967, ist seit April 2012 Chef­volkswirt der Degussa. Er ist Hono­rar­pro­fessor für Volks­wirt­schafts­lehre an der Uni­ver­sität Bay­reuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mit­glied im For­schungs­netzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Prä­sident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Grün­dungs­partner und volks­wirt­schaft­licher Berater eines Alter­native Investment Funds (AIF). Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.
Quelle: Ludwig von Mises Institut Deutschland