Wo bleibt der Crash? — Kata­lonien-Sezession ante portas

Poli­tische Börsen haben kurze Beine

Warum hat die Kata­lonien-Krise (bislang) kaum Aus­wir­kungen – auch auf die spa­nische – Börse? Trifft zu, was Bör­sianer schon immer wussten: Dass Poli­tische Börsen kurze Beine haben – siehe casus Trump oder Brexit. Da die Börse schlauer als die Politik ist, heißt es im Umkehr­schluss, auch ein Aus­tritt Kata­lo­niens wäre für Spanien wirt­schaftlich kein Drama. Fol­gender Beitrag ver­gleicht die Bör­sen­aus­wir­kungen von heute mit dem denen in der Immo­bi­li­en­blase und wagt eine Prognose.

Aktuelle Bestands­auf­nahme

Die beiden Gra­phiken zeigen, dass die Kata­lonien-Krise im Ver­gleich zur Immo­bi­li­en­krise 2009–2012 nur minimale Aus­wir­kungen auf die spa­nische Börse hatte. Sowohl der IBEX-Akti­en­index als auch die mit einem 6,0%igen Kupon aus­ge­stattete 30jährige Staats­an­leihe – mit fast 4% lau­fende Rendite und 1,7% Gesamt­rendite ist das Papier klarer Kaufkurs für besonnene Anleger – bleiben in diesem Jahr quasi unver­ändert und haben auch in den ver­gan­genen Wochen nur um 2%-3% wenig nach­ge­geben. (Man denke an das öko­no­mische Grie­chenland-Fiasko in 2011 als 20–30% Rendite erzielbar waren). Dabei soll(t)e doch das Kata­lonien-Refe­rendum von langer Hand vor­be­reitet worden sein? Schläft die Börse?

2012 ist dagegen der IBEX im Ver­gleich zu 2008 über 50% auf unter 6.000 Punkte gefallen. Die Staats­an­leihe gab in ihrem Tief­punkt um gut 35% auf 88,77% nach. Auch die Kre­dit­ver­si­che­rungen, die sog. Credit Default Swaps sind heute für Spanien nicht unbe­dingt dra­ma­tisch. Für den Ausfall einer 10jährigen Anleihe werden im insti­tu­tio­nellen Bereich 0,7% gerade jährlich ver­langt. Ita­liener zahlen das Dop­pelte an Risi­ko­prämie. So bleibt einem deut­schen Fonds­ma­nager oder Ver­si­cherer noch eine positive Rendite übrig wenn es schief geht. 

Unsere Medien warnen unisono Kata­lonien: Warum eigentlich?

Wenn unsere Sys­tem­medien und Poli­tiker erneut Alarm schlagen, so richten sich die War­nungen – wie früher beim Brexit – primär an Kata­lonien. Keiner darf den EU-Klub so einfach ver­lassen, es sei denn er wird raus­ge­schmissen. Zoll­schranken, EU-und Euro-Aus­tritt, Arbeits­lo­sigkeit, Verlust der Bin­dungen an das alte Mut­terland – die Liste der ange­dachten „Gefahren“ ist lang. Woher wissen diese Leute das so genau? 

Dabei sehen doch in einer Schnell­ein­schätzung die Erfolgs­chancen für die Aus­tritts­wil­ligen gar nicht so schlecht aus. Kata­lonien besitzt mit seinen 7,2 Ein­wohnern – z.B. hat das auf­müpfige Schottland nur 5,5 Mio. Bewohner – und einem BIP-Anteil von etwa 20% des spa­ni­schen (1.232 Mrd. € in 2016) die Wirt­schaft­kraft Finn­lands oder Ungarns und damit die Fähigkeit als selb­stän­diger Staat öko­no­misch zu exis­tieren. Der Region wird zudem der Status einer exports­starken, hoch indus­tria­li­sierten und mit qua­li­fi­ziertem Human­ka­pital aus­ge­stat­teter Land bescheinigt. Bei einem Euro-Aus­tritt könnte die neue Wahrung – ich schlage hier den asso­zi­ie­renden Namen Catalan vor – frei­willig sehr an die Uni­ons­währung gekoppelt werden, wie es einige Dut­zende Länder der Dritten Welt mit der Kop­pelung an den US-Dollar, tun. Die Kata­lanen besitzen zudem genügend Kauf­kraft um als Markt für die EU inter­essant zu bleiben. 

Mit der simplen Fir­men­sitz­ver­legung ins spa­nische Mut­terland geht weder diese Kauf­kraft ver­loren, noch werden die Real­in­ves­ti­tionen (VW-Werk)&Co. geschlossen. Denn durch ein Dekret, das allein die Fir­men­sitz­ver­la­gerung erleichtert, werden keine Sach­werte ver­schoben und gehen keine Arbeits­plätze ver­loren Das wissen Brüssel, der Jurist Rajoy und die deutsche Wirt­schaft sehr wohl. 

In der aktu­ellen Dis­kussion wird die heikle Frage der NATO-Zuge­hö­rigkeit eines freien Kata­lo­niens ganz ver­gessen. Russland und das reiche China würden an einer Mili­tär­basis im Mit­telmehr inter­es­siert sein und ggfs. mit üppigen Kre­diten und Finanz­in­ves­ti­tionen ein­springen, wenn Brüssel & Madrid auf die Idee kämen, Bar­celona finan­ziell zu stran­gu­lieren. Das ist ein nicht zu unter­schät­zender Aspekt. Ver­gleichbare Befürch­tungen gab es bei der Grie­chenland (Ver­stei­gerung des Hafens von Piräus) und Zypern.

Fazit: Vor­ge­nannte Argu­mente sollen kei­neswegs bedeuten, dass der Autor eine Auto­nomie auto­ma­tisch für gut hält. Bis­herige offi­zielle Stel­lung­nahmen zeigen jedoch erneut, wie ein­seitig und öko­no­mie­fremd und brüs­seltreu unsere Sys­tem­medien und Poli­tiker mit ver­steckten „Dro­hungen“ han­tieren. Ein Seminar zum 1 x 1 der Volks­wirt­schafts­lehre würde einigen Ver­tretern beider Zünfte gut tun.

Dr. Viktor Heese – Dozent und Fach­buch­autor, war 30 Jahre als Wert­pa­pier­analyst beschäftigt