Die Ver­ei­nigten Schulden von Europa — Warum die Schul­den­union längst Rea­lität ist

Stellen Sie sich vor, Sie betreiben eine Kneipe. Jeden Tag kommen immer wieder Ihre treuen Stamm­kunden zum Zechen. Chro­nisch klamm, schreiben Ihre Kunden an. Jeden Abend haben Sie einen grö­ßeren Stapel unter­schrie­bener Schuld­zettel, die sie in Ihre Schublade legen. Kann das lange gut gehen? Nein, schon einigen Wochen wären Sie pleite, weil sie Ihre Rech­nungen nicht mehr bezahlen könnten. 
Funk­tio­nieren würde das nur, wenn Sie Ihre For­de­rungen wei­ter­reichen könnten, zum Bei­spiel an eine Bank. Gibt diese Ihnen echte Euro für die Schuld­zettel, wären Sie ihr Problem los. Die Bank hätte jetzt die For­derung gegen Ihre Stamm­kunden und müsste schauen, wie sie an ihr Geld kommt. 
Keine Bank würde das machen, denken Sie? Richtig, keine Bank der Welt würde Ihnen Geld für die Schuld­scheine ihrer Kunden geben, ohne dass Sie dafür weiter haften. Keine Bank der Welt? Doch, es gibt eine: die Deutsche Bundesbank. 
Das Dilemma der deut­schen Notenbank
Die Deutsche Bun­desbank ist im Euro­system ver­pflichtet, unbe­grenzt Kredit zu geben. Und weil das alle wissen, pas­siert fol­gendes: Der Wirt schenkt bereit­willig aus, obwohl er weiß, dass die Zecher eigentlich nicht bezahlen können, die Zecher trinken extra viel, weil sie wissen, dass sie dafür nie bezahlen müssen.
Das Ganze funk­tio­niert so: Die deutsche Wirt­schaft expor­tiert seit Jahren deutlich mehr als wir impor­tieren. Daraus ent­steht der immer wieder gefeierte Status als Export­welt­meister. Innerhalb des Euro­raumes bedeutet es aber auch, dass wir den anderen Ländern, die mehr impor­tieren als expor­tieren, einen Kredit gewähren. Nun wissen die Unter­nehmen, die expor­tieren und die Banken, die das erst mal finan­zieren, nur zu gut, dass es um die Kre­dit­fä­higkeit der Kri­sen­länder nicht so gut bestellt ist. Also reichen sie die For­de­rungen an die Bun­desbank weiter. Zu finden sind die For­de­rungen der Bun­desbank dann unter der Position „For­de­rungen aus dem Target2-System“ in der Bilanz der Bundesbank.
Doch nicht nur die Export­über­schüsse führen zu einem Anstieg der Target2-For­de­rungen. Mit ihrem Auf­kauf­pro­gramm für Wert­pa­piere fördert die EZB die Kapi­tal­flucht aus den Kri­sen­ländern. Nicht, dass man es den dor­tigen Sparern und Spe­ku­lanten ver­denken könnte. Sie ver­kaufen ihre Anleihen mit Gewinn an die EZB und bringen den Erlös nach Deutschland. Auch das ist eine Art von „Anschreiben“ bei der Bank. Neben den Export­über­schüssen sind diese Transfers ein wesent­licher Grund für den Anstieg der For­de­rungen der Deut­schen Bun­desbank im Rahmen des Target2-Systems.
Das alles wäre ja noch ver­kraftbar, ginge es nicht um enorme Beträge. Die For­de­rungen der Bun­desbank belaufen sich mitt­ler­weile auf über 855.000.000.000 Euro. Das sind mehr als 10.000 Euro pro Kopf der Bevöl­kerung Deutsch­lands, die die Bun­desbank ohne jeg­liche Sicherheit, ohne Zins und ohne Aus­sicht auf Tilgung an die Kri­sen­länder Europas ver­liehen hat. Und jeden Tag werden die For­de­rungen größer.
Zum Geld­ver­schenken gezwungen
Länder wie Nor­wegen, Sin­gapur und die Schweiz, die eben­falls erheb­liche Han­dels­über­schüsse aus­weisen, machen das anders. Sie kaufen dafür über eigens geschaffene Staats­fonds oder im Falle der Schweiz über die Notenbank global wert­haltige Ver­mö­gens­werte auf: Aktien, Immo­bilien und sichere Anleihen. So ist eine Anlage sicherer und erbringt wenigstens eine Rendite. Wir hier in Deutschland hin­gegen sind gezwungen, unsere Erspar­nisse so schlecht anzu­legen, dass es einem Ver­schenken gleichkommt. 
Jedem Beob­achter, der das nüchtern betrachtet, ist klar, dass diese Kredite niemals wieder zurück­ge­zahlt werden. Die betrof­fenen Länder müssten über Jahre hinaus einen Han­dels­über­schuss mit uns erzielen und dann auch noch bereit sein, diesen für die Tilgung der Kredite zu verwenden. 
Kri­tiker dieser Art der Betrachtung sehen in den Target2-For­de­rungen keine echte For­derung, sondern nur eine buch­hal­te­rische Größe. Doch vor einigen Monaten erklärte die EZB höchst offi­ziell, dass ein Land diese Ver­bind­lich­keiten tilgen müsse, sollte es aus dem Euro aus­treten. Spä­testens seitdem ist klar, dass es sich eben um mehr handelt als um ein buch­hal­te­ri­sches Problem.
Politik geht grund­le­gende Pro­bleme nicht an
Damit stehen wir in Deutschland vor erheb­lichen Ver­lusten, die jeden Tag weiter anwachsen. Schuld daran ist weniger die EZB als die Politik, denn die EZB tut eben alles Erdenk­liche, um den Euro und damit die eigene Existenz zu „retten“. Aber die Politik hat sich seit Aus­bruch der Euro­krise kon­se­quent geweigert, die grund­le­genden Pro­bleme anzugehen:

  • die Über­schuldung weiter Teile des pri­vaten und öffent­lichen Sektors in den Krisenländern.
  • die Insolvenz des euro­päi­schen Bankensystems.
  • die unzu­rei­chende Wett­be­werbs­fä­higkeit vieler Länder in der Eurozone

Statt­dessen wurde an Sym­ptomen gedoktert und eine Insze­nierung auf­ge­führt, die an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ erinnert. Mit jedem Tag ver­schlechtert sich dabei die deutsche Ver­hand­lungs­po­sition, weil die anderen Länder wissen, dass wir mit jedem Tag mehr zu ver­lieren haben, sollte der Euro zer­fallen. Die Idee, dass bei­spiels­weise Italien im Falle eines Aus­tritts aus dem Euro seine rund 400.000.000.000 Euro Schulden bei uns begleicht, ist naiv. Das Land ist schon ohne diese Ver­bind­lichkeit fak­tisch bankrott. 
Warnung vor „Schul­den­union“ ist verlogen
Deshalb ist es auch ver­logen, wenn unsere Poli­tiker vor einer „Schul­den­union“ in Europa warnen. Wir haben sie schon und wir haben dabei die dümmste Rolle über­nommen, die man haben kann: die des Gläu­bigers. Egal wie das Spiel wei­tergeht, am Ende wird und muss der Gläu­biger verlieren.
Noch könnte die Politik dagegen steuern und zumindest ver­suchen, den Schaden zu mindern. Doch danach sieht es nicht aus. Thema für die nächste Woche. 
 
Dr. Daniel Stelter / www.think-beyondtheobvious.com