Es droht keine neue Krise – einfach, weil die alte noch nicht vorbei ist!

Der sehr geschätzte Dietmar Tischer zitierte in einem Kom­mentar bei bto aus einem Artikel von Gerald Braun­berger in der F.A.Z. und verband das mit einer Auf­for­derung, sich den Beitrag genauer anzuschauen:
„Das Problem dieser Schwarz­maler ist: Die Rea­lität will sich einfach nicht so ver­halten. Obgleich die Leit­zinsen his­to­risch niedrig und die Bilanzen großer Noten­banken wie der Euro­päi­schen Zen­tralbank und der ame­ri­ka­nische Federal Reserve durch umfang­reiche Anlei­he­käufe stark gewachsen sind, will sich in den meisten Wirt­schaften der Indus­trie­na­tionen einfach kein starkes Wachstum der Kredite an die Pri­vat­wirt­schaft ein­stellen. Das aber wäre eine wesent­liche Vor­aus­setzung für eine neue Krise.“
Dr. Stelter, Sie dürfen sich ange­sprochen fühlen. Es sollte Ihnen leicht­fallen, dar­zu­legen, wo Braun­berger die Rea­lität aus­blendet und was es mit der ver­meint­lichen Schwarz­ma­lerei auf sich hat.“ → So sieht ein Minsky Moment aus 
Auch von anderer Seite wurde ich mit den Worten „Freu mich schon auf Ihren Kom­mentar dazu.” auf den Beitrag hingewiesen. 
Da bleibt mir wohl keine andere Wahl, als mir die Argu­men­tation im F.A.Z.-Beitrag „Wo bleibt eigentlich die Kre­dit­ex­plosion?“ vom 15. August 2017 genauer anzu­schauen:

  • „In der Gedan­kenwelt mancher Finanz­markt­teil­nehmer und Öko­nomen geht es so: Wegen der sehr lockeren Geld­po­litik der Noten­banken in den Indus­trie­na­tionen ist ein starkes Wachstum der Kredite und der Geld­mengen unum­gänglich.“
    Fazit: Das mag so sein, dass das Viele denken. Da wir wissen, dass die wahre Geld­schöpfung unab­hängig von den Noten­banken erfolgen kann und diese ohnehin nur indi­rekten Ein­fluss auf die Zinsen und Kre­dit­vergabe haben, gilt das nicht für den „Schwarz­maler“ von bto und seine Leser!

 

  • „Daraus ent­steht früher oder später eine hohe Inflation und eine neue Finanz­krise, weil die Banken unter der Last fauler Kredite ebenso in die Bre­douille geraten werden wie in der großen Finanz­krise vor zehn Jahren.“
    Fazit: Wenn es so käme, wäre die Krise die Folge. Nur darf man den Umkehr­schluss nicht ziehen. Wenn es so nicht ist, heißt es noch lange nicht, dass es keine Krise gibt. 

 

  • Und wer es besonders dra­ma­tisch mag, raunt noch etwas über einen Zusam­men­bruch des gesamten Geld- und Finanz­systems, der in der nächsten Krise zwei­fellos bevorstehe.“
    Fazit: Da würde ich natürlich fragen, wie „Zusam­men­bruch“ zu sehen ist. Ich denke, Maß­nahmen wie Kapi­tal­ver­kehrs­be­schrän­kungen, Bar­geld­grenzen, Nega­tivst­zinsen, Heli­ko­ptergeld und Ver­mö­gens­ab­gaben sind kein Zusam­men­bruch, aber dennoch als Ein­griffe so groß, dass ich sie für erwäh­nenswert halte. Zum „Schwarz­malen“ langt es allemal. 

 

  • Obgleich die Leit­zinsen his­to­risch niedrig und die Bilanzen großer Noten­banken wie der Euro­päi­schen Zen­tralbank und der ame­ri­ka­ni­schen Federal Reserve durch umfang­reiche Anlei­he­käufe stark gewachsen sind, will sich in den meisten Wirt­schaften der Indus­trie­na­tionen einfach kein starkes Wachstum der Kredite an die Pri­vat­wirt­schaft ein­stellen.“
    Fazit: was – und da wird mir Herr Braun­berger sicher zustimmen – ein über­deut­liches Zeichen dafür ist, dass wir eben die letzte Krise noch nicht über­wunden haben, sondern mit­tendrin stecken: a) Schuldner können nicht mehr, weil sie noch zu viele haben. b) Schuldner wollen nicht, weil sie schlechte Erfah­rungen gemacht haben bzw. die Aus­sichten so unsicher sind. c) Gläu­biger können nicht, weil sie eigentlich insolvent sind und unter faulen Kre­diten leiden. d) Gläu­biger wollen nicht, weil sie zu schlechte Aus­sichten haben. e) Schuldner, die wollen, machen damit vor allem unpro­duktive Dinge, weil diese risi­ko­loser (erscheinen). Aus Angst vor eben dieser Kern­schmelze flüchten sie in Real­werte wie Immo­bilien. Alles Gründe für mich, eher eine neue Krise zu erwarten. 

 

  • Hinzu kommt fol­gendes: in den USA erleben wir seit Jahren einen wahren Ver­schul­dungsboom der Unter­nehmen. Vor allem um mit financial engi­neering und Rück­käufen die Kurse zu pflegen. Diese Ver­schuldung ist bereits so hoch, dass der IWF vor einer neuen Krise aus­gehend von der Ver­schuldung der Unter­nehmen warnt. Insofern stimmt auch die Behauptung, es gäbe keine besorg­nis­er­e­gende Neu­ver­schuldung nicht. → IMF says debt binge leaves US cor­porate assets exposed

 

  • Das aber wäre eine wesent­liche Vor­aus­setzung für eine neue Krise. Denn Ana­lysen frü­herer Krisen belegen, dass an ihrem Anfang meist eine exzessive Kre­dit­vergabe der Banken an Pri­vat­per­sonen oder Unter­nehmen – häufig für Immo­bi­li­en­fi­nan­zie­rungen – standen.“ – bto: Die Studien kennen wir natürlich und haben sie auch bei
    Fazit → Schulden und Krisen – Der Zusam­menhang. Aber: Stimmt das auch, wenn eine Über­schul­dungs­krise noch nicht bereinigt ist, wie heute? Und: Was ist eigentlich mit China? Nicht nur dort – auch Kanada und Aus­tralien – weisen durchaus die Ver­schul­dungs­kri­terien auf, an die Braun­berger hier erinnert.

 

  • Doch obwohl (…) ein Wirt­schafts­wachstum beob­achtet wird, nimmt die private Kre­dit­vergabe der Banken, gemessen im Ver­hältnis zur Wirt­schafts­leistung (BIP), in vielen Ländern – Frank­reich bildet eine Aus­nahme – allen­falls mäßig zu.“
    Fazit: okay, weitere Aus­nahmen siehe oben.

 

  • Wichtig ist, die Höhe der Kredite in Relation zur Wirt­schafts­kraft zu stellen. Und da sieht die Ent­wicklung weniger dra­ma­tisch aus.“
    Fazit: vor allem in Relation zu den tat­säch­lichen Kosten der Schulden. Das stimmt. Die Zinsen sind rekord­ver­dächtig tief und erlauben deshalb viel höhere Schulden. Doch: Dürfen Zinsen dann über­haupt steigen? Nein, natürlich nicht! 

 

  • (…) eine Geld­schwemme auf den Konten der Geschäfts­banken bei der Notenbank, die sich unter anderem als Folge der Anlei­he­käufe der Noten­banken beob­achten lässt, (breitet) sich kei­neswegs zwangs­läufig in der Wirt­schaft aus. Das war früher nicht selten so; aber in den ver­gan­genen Jahren ist kein enger Zusam­menhang zwi­schen den Gut­haben der Geschäfts­banken bei den Noten­banken und der Kre­dit­vergabe in der Wirt­schaft erkennbar.“
    Fazit: aus den schon oben genannten Gründen. Es ist ja keine „normale“ Situation.

 

  • Nor­ma­ler­weise müsste das Volumen der Kredite in der Wirt­schaft umso stärker steigen, je nied­riger der Zins ist. In ein­zelnen Branchen, zum Bei­spiel in Deutschland auf dem Markt für Wohn­im­mo­bilien, ist dies auch der Fall. Aber als gene­relles Phä­nomen lässt es sich in den Indus­trie­na­tionen nicht beob­achten.“
    Fazit: richtig. Gründe siehe oben. Damit ist aber auch klar, dass man doch nicht sagen kann, es „käme keine Krise mehr“, ohne als Begründung zu sagen, „weil wir noch mitten drinnen sind“!

 

  • Zahlen der Bun­desbank belegen, dass auch die Bilanz­summe der deut­schen Kre­dit­wirt­schaft abge­nommen hat – seit dem Jahre 2011 um immerhin fast 500 Mil­li­arden Euro. In manchen Ländern, Italien ist ein Bei­spiel, haben hohe Gewinn­aus­schüt­tungen die Bildung von Eigen­ka­pital und damit das Potenzial für Kre­dit­ver­gaben beschränkt.“
    Fazit: Aber wir wollen doch auch „Dele­ver­aging“. Banken haben viel aus­ge­schüttet, um für Aktionäre über­haupt attraktiv zu sein. Auch das ist bekannt.

 

  • Die digitale Revo­lution ändert zudem die finan­zi­ellen Bedürf­nisse vieler Unter­nehmen. An die Stelle kre­dit­fi­nan­zierter Inves­ti­tionen in Sach­ka­pital wie Maschinen, die für die Indus­trie­ge­sell­schaft typisch sind, treten immer mehr Inves­ti­tionen in soge­nanntes imma­te­ri­elles Kapital, zu dem unter anderem Software oder Patente zählen.“
    Fazit: Auch das stimmt. Doch was folgt daraus? 

 

  • Inves­ti­tionen in imma­te­ri­elles Kapital, zu denen auch bei­spiels­weise Aus­gaben für For­schung und Ent­wicklung oder die Wei­ter­bildung von Mit­ar­beitern gehören, lassen sich meist nicht durch Kre­dit­auf­nahmen finan­zieren, da keine mate­ri­ellen Kre­dit­si­cher­heiten mit ihnen ver­bunden sind.“
    Fazit: aha. Weil die digitale Welt keinen Kredit bekommt, sind wir auch vor Krisen sicher. Das finde ich spannend.

 

  • (…) seit der Finanz­krise ver­suchen nicht nur in den Ver­ei­nigten Staaten hoch belastete Pri­vat­haus­halte ihre Schul­denlast zu redu­zieren. Dies hemmt die Nach­frage der Pri­vat­haus­halte nach neuen Kre­diten und ist ein wei­terer Grund, warum trotz sehr nied­riger Zinsen in den Indus­trie­na­tionen das Kre­dit­vo­lumen, anders als von den Schwarz­malern ange­kündigt, nicht explo­si­ons­artig zunimmt.“
    Fazit: Wirk­liche Schwarz­maler wie ich argu­men­tieren (bekanntlich) anders:
  1. Die Krise ist nicht zu Ende, nur unter­drückt. Deshalb auch die Wir­kungs­lo­sigkeit der Geld­po­litik in der heu­tigen Zeit.
  2. Derweil wachsen die Schulden weiter, eher im öffent­lichen als im pri­vaten Bereich. Aller­dings in China und einigen anderen Ländern auch gerade im pri­vaten Sektor.
  3. Damit wächst die Anfäl­ligkeit für externe Schocks, vor allem wegen der par­allel zum Schul­den­an­stieg auf­ge­blähten Asset­preise, an denen alles hängt. Fallen die Asset­preise, kommt es wirklich zum Kollaps. Bei bto immer als glo­baler Margin Call beschrieben. 
  4. Weshalb die Asset­preise nicht fallen dürfen, koste es, was es wolle. Folge: Die Geld­po­litik ist gefangen und kann gar nicht ernsthaft die Zinsen erhöhen.
  5. Ver­sucht sie es dennoch, kommt es ver­mutlich zu einem Ein­bruch an den Märkten, auf den mit noch mehr Geld reagiert wird.
  6. Ohne eine Anpassung der Schulden wird es nicht gehen. Die Wege sind viel­fältig und sind immer ver­bunden mit Ver­lusten für die Gläubiger. 
  7. Even­tuell ist die Lösung durch Mone­ta­ri­sierung über die Bilanzen der Noten­banken, wie sie sich in Japan abzeichnet, wirklich die Lösung für unsere Pro­bleme, die ohne Schmerzen funktioniert. 
  8. Das Risiko ist heute ein poli­ti­sches. Es ist eine Frage der Zeit, bis es zu einer poli­ti­schen Revo­lution gegen das Korsett von Euro und Sparen kommt. Dann haben wir die Krise aus­gelöst durch die schon erfolgte Aufschuldung. 
  9. So haben wir den Wettlauf zwi­schen (poli­ti­schen) Schocks und Mone­ta­ri­sierung. Schauen wir mal, wer gewinnt.
  10. Inflation gibt es nur bei Ver­trau­ens­verlust in Geld. Kann das pas­sieren? Ja. Aber ab welchem Punkt kann niemand sagen.

→ F.A.Z.: „Wo bleibt eigentlich die Kre­dit­ex­plosion?“, 15. August 2017
 
Dr. Daniel Stelter / www.think-beyondtheobvious.com