Börse: Der erwartete Crash

Mit dem Timing ist es so eine Sache. Gerade an der Börse. Seit langem – seit viel zu langem würden meine Kri­tiker sagen – warne ich an dieser Stelle vor einem Ein­bruch an den Märkten, trotz der ver­meint­lichen All­macht der Noten­banken. Bei allen Märkten, die auf Kredit laufen, kann es viel länger gut gehen als man denkt. Doch haben alle eine Gemein­samkeit. Wenn es zur Trend­wende kommt, dann kommt diese abrupt. Es geht Steil nach unten. Und genau das war gestern an der Wall­street der Fall (und damit auch an vielen anderen Märkten):

Quelle: Elliott Wave 
Hinter diesem Ein­bruch stehen ver­schiedene Fak­toren, vor denen ich an dieser Stelle immer wieder gewarnt habe. Zur Erinnerung:
1. Die US-Börse ist so teuer wie (fast) nie
Die Flughöhe der US-Börsen ist durchaus hoch. Median-PE, Shiller-PE, Umsatz-Mul­tiple, Buchwert-Mul­tiple, Cash-Flow-Mul­tiple, Divi­den­den­rendite, Markt­ka­pi­ta­li­sierung relativ zum BIP und viele weitere Indi­ka­toren deuten auf eine erheb­liche Über­be­wertung der US-Börse hin. Nicht so hoch wie zum Zeit­punkt der his­to­risch größten Über­be­wertung im Jahr 2000 aber über den Werten von 1929 und 2007. Bewer­tungen spielen auch wenn Geld nichts kostet eine Rolle. Sobald Geld wieder etwas kostet, erst recht!

Quelle: Goldman Sachs, Real Investment Advice

Quelle: St. Louis Federal Reserve (FRED), Robert Shiller, Real Investment Advice
2. Die Bör­sianer wurden immer sorgloser
Der Opti­mismus der ame­ri­ka­ni­schen Pri­vat­an­leger war so hoch wie lange nicht mehr (oder in einigen Dimen­sionen noch nie). So lag die Quote von Aktien zu Liqui­dität in den Port­folios der von der Ame­rican Asso­ciation of Indi­vidual Investors (AAII) befragten Inves­toren so hoch, wie in 90 Prozent der Monate in den letzten 30 Jahren nicht. Die Anleger waren also fast voll inves­tiert. Das gilt übrigens auch für die insti­tu­tio­nellen Inves­toren, die Goldman Sachs zufolge so positiv gestimmt waren wie zuletzt vor zehn Jahren. 
Zugleich war die Vola­ti­lität – ein wei­terer Indi­kator für die Ner­vo­sität an den Märkten – deutlich zurück­ge­gangen. Der VIX lag seit Monaten auf Rekordtief. Klar im Wie­der­spruch zu Indi­ka­toren der glo­balen Risiken, die in den letzten Jahren einen deut­lichen Anstieg verzeichneten. 
Während die Vola­ti­lität zurückging, nahmen die Wetten auf einen wei­teren Rückgang der Vola­ti­lität zu. Das erinnert fatal an die Kre­dit­aus­fall­ver­si­che­rungen, die vor der Finanz­krise ver­kauft wurden. Solange alles gut geht, werden so gute Ren­diten erzielt. Kippt die Stimmung im Markt, kommt es zu einer Ver­kaufs­panik mit ent­spre­chenden Kurs­aus­schlägen, die auf den Akti­en­markt wirken. So wie wir es gestern erlebt haben:

Quelle: CBOE
Damit wurden viele Spe­ku­lanten, die vor allem mit viel Leverage unterwegs waren auf dem fal­schen Fuss erwischt.
3. Die Anleger sind immer passiver
Immer wieder habe ich vor dem Trend zum „pas­siven Investment“ – über­wiegend in Index­fonds – gewarnt. Weder ist das Investment „passiv“, noch risi­kofrei. Im Gegenteil führt die Inves­tition in diese pas­siven Pro­dukte zu einer deut­lichen Trend­ver­stärkung. Aktien die steigen, werden ent­spre­chend mehr nach­ge­fragt, was zu einem Her­den­ver­halten der Anleger führt. Statt also Risiken zu redu­zieren, führt diese Anla­geform zu grö­ßeren Risiken und ver­stärkt den Trend zur Über­be­wertung. Das ist aber auch auf dem Weg nach unten so. Dieses Ver­halten der Anleger hat auch damit zu tun, dass von den Ver­käufern der Pro­dukte ver­sprochen wird, diese jederzeit handeln und vor allem liqui­dieren zu können. Das haben auch die ame­ri­ka­ni­schen Geld­markt­fonds getan, bis es im Zuge der Finanz­krise zum Undenk­baren kam. Plötzlich waren die Anlagen nicht so liquide wie gedacht, Zah­lungen ver­zö­gerten sich. In der Folge wuchs die Panik noch weiter an. Gut möglich, dass alleine aus diesem Grund eine eigentlich normale Kor­rektur zu einem aus­ge­wach­senen Crash her­an­wächst. Index­fonds sind per Defi­nition voll inves­tiert. Geraten die Anleger in Panik schlägt das unge­filtert auf den Markt durch. So wie gestern und ver­mutlich auch in den kom­menden Tagen und Wochen. 
Das gilt übrigens auch für die Robo-Advisor, die gestern in den USA eine noch nie gekannte Flut von Kun­den­an­fragen zu bear­beiten hatten.
4. Die Zeiten bil­ligen Geldes werden unterbrochen
Opti­mis­tische Beob­achter sahen die Bewertung an den US-Märkten gerade mit Blick auf das immer noch sehr tiefe Zins­niveau als gerecht­fertigt an. Je tiefer die lang­fris­tigen Zinsen, desto höher dürfen Aktien bewertet sein. Dies stimmt, wirft mit Blick auf die der­zeitige Zins­er­hö­hungs­stra­tegie der US-Notenbank Fed jedoch Fragen auf. Schon ab einem Zins­niveau von 3 Prozent für die 10jährige US-Staats­an­leihe rech­neten pro­mi­nente Beob­achter wie Jeff Grundlach und Bill Gross mit erheb­lichen Kor­rek­turen an den Märkten. Andere warnten schon ab 2,64 Prozent vor Pro­blemen – nicht zu unrecht wie wir heute sehen. 
Dabei liegt das Risiko vor allem auch in den Märkten für Unter­neh­mens­an­leihen. Hier hatte sich schon seit einigen Monaten ein Problem ange­bahnt, weil die Anleger immer größere Risiken ein­gingen. Seit einem Jahr haben sich die Hoch-Risi­ko­an­leihen vom Akti­en­markt in den USA ent­koppelt. Während die Börse deutlich zulegte, sta­gnierten die High-Yield Fonds auf hohem Niveau. Ein erstes Warn­signal. Seit Jah­res­anfang fallen die Anleihen schlechter Schuldner. Ein wei­teres Warn­signal. Die Inves­toren nehmen die Risiken wieder wahr und wetten zugleich im Rekord­vo­lumen auf weiter fal­lende Anleihenkurse.

Quelle: Zerohedge
Natürlich werden die Noten­banken, sollte sich der Crash fort­setzen und die Real­wirt­schaft in die Knie gehen mit einer wei­teren Runde noch bil­li­geren Geldes reagieren! Das löst zwar kurz­fristig die Pro­bleme, ver­grössert sie aller­dings gesamthaft enorm. 
5. Die Ver­schuldung ist so hoch wie nie zuvor
 Das hat vor allem mit der Tat­sache zu tun, dass wir weltweit eine Krise, die durch zu viele Schulden aus­gelöst wurde, mit noch mehr Schulden bekämpft haben. Weltweit liegen die Schulden mit über 215 Bil­lionen US-Dollar (325 Prozent des Welt-BIP) 70 Bil­lionen höher als noch vor 10 Jahren. In den Indus­trie­ländern wuchsen sie seit 2006 von 348 Prozent des BIP auf 390 Prozent, in den Schwel­len­ländern – vor allem von China getrieben – von 146 auf 215 Prozent. Eine hoch ver­schuldete Welt kann alles gebrauchen, nur keine höheren Zinsen. 
Mit Blick auf die US-Börse kommt erschwerend hinzu, dass die US-Unter­nehmen im Unter­schied zu den Unter­nehmen in Europa in den ver­gan­genen Jahren ihre Ver­schuldung deutlich erhöht haben. Mit immer mehr Schulden wurden eigene Aktien gekauft, um so die Eigen­ka­pi­tal­rendite und damit den Akti­enkurs zu steigern. Sogar der IWF sieht in der Ver­schuldung der US-Unter­nehmen ein Risiko für die welt­weite Finanz­sta­bi­lität und rechnet vor, dass immerhin jedes zehnte US-Unter­nehmen schon heute – trotz rekord­tiefer Zinsen! – die Zins­zah­lungen nicht aus den lau­fenden Gewinnen leisten kann.
 6. Der Auf­schwung ist schon alt
Der Auf­schwung der US-Wirt­schaft – so schwach er auch im his­to­ri­schen Ver­gleich ist – dauert schon sehr lange an. Nur zweimal währte ein Kon­junk­tur­auf­schwung in den USA seit dem zweiten Welt­krieg länger. Stei­gende US-Löhne könnten die Margen der Unter­nehmen unter Druck bringen. Ohnehin sind diese wie ange­sprochen durch den über­mä­ßigen Einsatz von Leverage künstlich überhöht und deshalb ent­spre­chend anfällig. Zum anderen kon­zen­trieren sich die Gewinne auf wenige Sek­toren und Unter­nehmen. Der breite US-Unter­neh­mens­sektor ist sehr anfällig für Zins- und Lohn­kos­ten­stei­ge­rungen, was zu einem Rückgang der Inves­ti­tionen führen würde, dem ent­schei­denden Indi­kator für die weitere kon­junk­tu­relle Ent­wicklung. Indi­ka­toren für eine kon­junk­tu­relle Abschwä­chung sind in den harten öko­no­mi­schen Daten schon zu erahnen. Bei­spiel: der sprung­hafte Anstieg fauler Auto­kredite und der ent­spre­chende Absatz­rückgang.
7. Die tech­no­lo­gische Revo­lution pro­du­ziert mehr Verlierer
Ein Großteil des Kurs­zu­wachses an der US-Tech­no­lo­gie­börse NASDAQ seit Jah­res­anfang 2017 ent­fällt auf nur 5 Unter­nehmen, also rund 0,2 Prozent aller im Index ver­tre­tenen Firmen: Apple, Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft. Dies hat auch damit zu tun, dass diese und andere Firmen ganze Wirt­schafts­zweige auf den Kopf stellen. Die Folgen für die Ver­lierer sind dra­ma­tisch, wie wir an dieser Stelle schon dis­ku­tiert haben. So dra­ma­tisch, dass sie aus dem Markt aus­scheiden und mit ihnen nicht nur die Arbeits­plätze ver­schwinden, sondern auch das Aktio­närs­ver­mögen. Je mehr sich die Wert­schaffung auf wenige Unter­nehmen zu Lasten der anderen kon­zen­triert, desto größer die Gefahr einer erheb­lichen Ent­täu­schung an den Märkten. Es können nämlich nicht alle gleich­zeitig Gewinner sein. 
8. Spe­ku­lation auf Kredit ver­stärkt die Gefahr von Margin Calls
Nicht nur die Unter­nehmen haben mehr Schulden als je zuvor. Auch die Inves­toren haben immer mehr auf Kredit spe­ku­liert. Die Wert­pa­pier­kredite („Margin Debt“) befinden sich eben­falls auf einem Rekord­stand. Nichts ver­deut­licht mehr die Folgen der Politik bil­ligen Geldes: Unter­nehmen, die mit Financial Engi­neering statt echter Ver­bes­serung die Akti­en­kurse treiben und Inves­toren, die diese Aktien mit immer mehr Kre­diten nach­fragen. Fallen die Kurse dreht der Effekt sich um. Was nach oben funk­tio­niert, beschleunigt den Weg nach unten. Das nennt man Margin Call und genau diesen dürften in den letzten Tagen nicht wenige Inves­toren bekommen haben. Damit ver­stärkt sich die Abwärts­be­wegung .
Die Dynamik des „Margin Calls“ habe ich immer wieder auf meinem Blog erläutert. So hier: → Margin Call für die Weltwirtschaft
Man hat Geld zu Null geliehen um Assets mit zwei Prozent Rendite zu kaufen. Das geht eben nur solange gut, wie die Finan­zie­rungs­kosten tief bleiben und das gekaufte Asset nicht im Preis fällt.
Es gab genug Warnungen
Dabei man­gelte es nicht an war­nenden Stimmen. Die Bank of America sprach schon vor einem Jahr von einem „Ikarus-Trade“. Viel Abwärts­po­tential aus hoher Flughöhe. Die Financial Times brachte es noch dras­ti­scher auf den Punkt: „The eventual decline in asset values will be cata­strophic.”
Der her­aus­ra­gende John Autors von der Financial Times ver­gleicht schon heute Nacht die Ent­wicklung an den Märkten mit dem Jahr 2007:
„I hate to admit this, but I think I have found a good his­to­rical par­allel for what is hap­pening in the markets. And it is with spring and summer of 2007, on the eve of the credit crisis. I dislike admitting this because I do not want to be accused of alarmism, but here are the salient points. (…) I am not pre­dicting a trail of dis­asters like that this time round. (…)  But then, as now, higher rates forced many people to take a long and careful look at the posi­tions they had taken on — and many dis­liked what they saw. Higher rates also royally messed up many bril­liant pieces of financial engi­neering that had flou­rished during the „Great Mode­ration“ of  low vola­tility that pre­ceded the out­break of the crisis. All it took was for the Tre­asury market to threaten to break out of its long-term downward trend for all kinds of chi­ckens to come home to roost.“
Fazit: das ver­deut­licht, wie sehr wir in einer Welt ewig tiefer Zinsen gefangen sind. Das Problem ist nur, es gibt gute Gründe davon aus­zu­gehen, dass das Aus­fall­risiko zurück­kehrt, weil die Noten­banken eben nicht mehr jeden retten können.
Er stellt aber auch fest: „Get past this accident, and there should be a nice buying oppor­tunity as, indeed, the stock market managed to rally to a new all-time high in October 2007 once the Fed buckled and began to ease monetary policy.“
Womit wir beim Kern sind: das ist noch nicht das Ende der Ent­wicklung. Ver­mutlich dreht der Markt nach oben, even­tuell sogar getrieben von Zusagen der Fed, die Spe­ku­lanten in bewährter Form wieder raus­zu­hauen. Der Preis ist aber eine noch schneller stei­gende Ver­schuldung und damit Insta­bi­lität des gesamten Systems. Wir brauchen hier dringend einen Kurs­wechsel, sonst steuern wir zwangs­läufig auf eine noch größere Kata­strophe zu. Denn richtig bergab ging es an der Wall Street 2008/9.
Also: weder in Panik ver­kaufen, noch in Panik zukaufen. Ich denke es gibt eine Rallye aber der Markt ist zunehmend ange­schlagen. Deshalb auf inter­na­tionale und Asset-Klas­sen­di­ver­si­fi­kation achten. Es gibt, sollte es wirklich zu dem großen Knall kommen ohnehin kein sicheres Ver­steck. Siehe: Eiszeit in der Welt­wirt­schaft.
 
Und ergänzend dazu:

Das steht hinter dem Crash: gefähr­liche Bilanz­schwäche der US-Unter­nehmen

Ein wich­tiger Grund für die Ner­vo­sität an den Märkten dürfte die schlechte Qua­lität der Bilanzen der US-Unter­nehmen sein. Bekanntlich haben diese das billige Geld vor allem dazu genutzt, eigene Aktien zurück­zu­kaufen, statt zu inves­tieren. In der Folge sind sie so hoch ver­schuldet wie lange nicht mehr.
Die Société Generale hat einige gute Ana­lysen dazu gemacht. Die Charts sprechen für sich: zunächst die Dar­stellung der Mit­tel­ver­wendung der Unter­nehmen – deutlich über dem Brutto-Cashflow und nur bedingt für die rich­tigen Dinge:

Quelle: SocGen
Dies vor dem Hin­ter­grund, dass der Cashflow sich nicht so gut ent­wi­ckelt, wie man von den Schlag­zeilen glauben soll. Es ist vor allem auf Energie- und Finanz­werte fokussiert:

Quelle: SocGen
Weshalb der IWF auch vor der Ver­schuldung warnt. Dies liegt vor allem daran, dass die klei­neren Unter­nehmen sich am höchsten ver­schuldet haben. Dort ist die Zins­de­ckung am geringsten:

Quelle: SocGen
Wie sehr sich das Problem im Bereich der klei­neren Unter­nehmen kon­zen­triert, sieht man auch an dieser Darstellung:

Quelle: SocGen
Wobei die geringe Vola­ti­lität – den Noten­banken sei Dank! – auch zu einem kal­ku­la­to­risch geringen Aus­fall­risiko führt und damit den Boom bei den Anleihen schlechter Qua­lität verstärken:

Quelle: SocGen
Die Märkte wittern das Risiko und meiden deshalb die Unter­nehmen mit hoher Ver­schuldung. Aller­dings zeigte sich im letzten Quartal 2017 wieder mehr Zutrauen. Zurecht?
 

Quelle: SocGen
Für mich ent­scheidend ist die Tat­sache, dass wir es hier mit einer Wirt­schaft zu tun haben, die in hohem Maße abhängig ist vom bil­ligen Geld. Käme es wirklich zu stei­genden Zinsen, hätten wir es mit einem Margin Call der Extra­klasse zu tun!
→ zerohedge.com: „Albert Edwards: The Trigger For The Next Market Cor­rection“, 16. Januar 2018