Die Börsen sind angeschlagen und die Notenbanken offensichtlich gescheitert. Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.
„Verkauft Aktien – langsam aber sicher“ lautete meine Empfehlung an dieser Stelle am 12. Oktober vergangenen Jahres. Obwohl ich weiß, dass solche Aussagen an der Börse besonders gefährlich sind, deuteten einfach zu viele Indikatoren darauf hin, dass sich die Börsenparty in der Endphase befand. Einige Leser kamen denn auch mit kritischen Anmerkungen auf mich zurück. Vor allem verwiesen sie auf TINA (there is no alternative), also die tiefen Zinsen auf Anleihen und auf TTID (this time it‘s different), also die unbedingte Bereitschaft der Notenbanken, die Blase an den Finanzmärkten weiter aufzupumpen als notwendige Nebenbedingung des Versuches, die Schuldenberge der Welt erträglich zu halten.
Schauen wir nun nach sechs Monaten auf die Güte meiner damaligen Prognose. Wie zu befürchten, war ich mit meiner Warnung wohl zu früh. Vergleicht man den DAX-Stand von damals (12.982,18 Punkte) mit heute, so stellt man keine große Veränderung fest. Zwischenzeitlich war der Index noch deutlich gestiegen (bis auf 13.559,60 Punkte am 23. Januar). Nicht besser war meine Empfehlung mit Blick auf den S&P 500. Lag dieser vor sechs Monaten bei 2.555,24 Punkten, so weist er noch einen kleinen Gewinn von zwei Prozent aus, nachdem er zwischenzeitlich auf einen neuen Rekordstand von 2.872,87 gestiegen war.
Wer also im Oktober nicht verkauft hat, liegt wieder auf demselben Niveau. Wer mehr Glück mit dem Timing hatte, der konnte zwischenzeitlich auf höherem Niveau verkaufen. Wohl der beste Beweis, dass es mit dem Timing an der Börse so eine Sache ist. Schon Keynes wusste, dass Märkte länger falsch liegen können, als man Geld hat, gegen sie zu wetten.
Die Risiken bleiben
Die Risiken, die ich damals identifizierte, sind geblieben und weitere hinzugekommen:
- Die Anleger sind immer noch hoch investiert. Zwar gab es Abflüsse aus Aktienfonds, gerade in den USA, die Fondsmanager haben aber den Anteil der Liquidität weiter gesenkt. Sie hoffen darauf, dass es nach den Turbulenzen der letzten Wochen wieder nach oben geht.
- Die Volatilität ist zwar kurzzeitig deutlich gestiegen und hat zu erheblichen Verlusten der Spekulanten geführt. Dennoch liegt der VIX immer noch deutlich unter dem Niveau früherer Jahre und klar im Widerspruch zu Indikatoren der globalen Risiken, die in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg verzeichneten.
- High Yield Bonds notieren noch immer auf hohem Niveau. Bisher hat der Zinsanstieg in den USA nicht zu einer deutlichen Zunahme der Risikoprämien geführt. Das ist insofern verwunderlich, liegt doch die Verschuldung der US-Unternehmen auf Rekordniveau. So haben US-Unternehmen im vorigen Jahr 1,14 Billionen US-Dollar neue Schulden gemacht. Die Hälfte der im Russel-2000-Index enthaltenen Unternehmen gibt schon heute mehr als 30 Prozent des Gewinns vor Steuern und Zinsen (EBIT) für den Zinsendienst aus.
- Das Geld wiederum bekommen sie von Banken und anderen Spielern im Finanzkasino, die wiederum mit immer geringerem Eigenkapital arbeiten. Immer mehr spielt sich dabei außerhalb des (relativ) besser regulierten Bankensystems ab. Auf immerhin 45 Billionen US-Dollar wird der Schattenbankensektor geschätzt, wo das richtig große Rad gedreht wird.
- Leveraged Loans – also Hochrisiko-Kredite an bereits hoch verschuldete Unternehmen, oft im Zusammenhang mit Private-Equity-Transaktionen – boomen immer noch und der Anteil der sogenannten „Covenant-lite“-Kredite (also Kredite mit nur wenigen oder gar keinen Sicherheiten) liegt mit 85 Prozent wieder auf Vorfinanzkrisen-Niveau.
- Basierend auf dem EBITDA-Multiple sind die Weltaktienmärkte so hoch bewertet wie noch nie. Relativ gesehen sind Märkte wie Japan, Russland aber auch Westeuropa noch attraktiver als die USA, weil günstiger bewertet.
- Die Flughöhe der US-Börsen bleibt hoch. Median-PE, Shiller-PE, Umsatz-Multiple, Buchwert-Multiple, Cashflow-Multiple, Dividendenrendite, Marktkapitalisierung relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und viele weitere Indikatoren deuten auf eine erhebliche Überbewertung der hin. Wenig verwunderlich, dass anerkannte Value-Investoren – die also auf den Preis beim Kauf achten – erklären, die Börse müsste sich halbieren, um wieder interessant zu werden. Warren Buffet ist mittlerweile zum größten Käufer von US Treasury Bills geworden. Mehr als 100 Milliarden US-Dollar hat Berkshire Hathaway in kurzfristigen US-Staatspapieren geparkt, um dann kaufen zu können, wenn es günstig ist. Dann muss man nämlich liquide sein, ließ der Meister wissen. Gilt auch für uns.
- Auch in vergleichbar langweiligen Märkten braut sich Ungemach zusammen. Wie an dieser Stelle bereits vor einigen Monaten gezeigt, läuft der Häusermarkt weltweit heiß.
Ich bleibe dabei: Die Märkte für die meisten Assets sind fast zur Perfektion bepreist. Anhaltende Cashflows, stabiles Wachstum und nachhaltig tiefe Zinsen sind die Voraussetzung, um heutige Preise überhaupt nur ansatzweise rechtfertigen zu können.
Kurzfrist-Zinsen signalisieren Stress
Das Kernübel ist die weltweit ungebremst steigende Verschuldung. Allem Gerede vom „Deleveraging“ zum Trotz erleben wir eine immer weitergehende Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Privaten. Die Realwirtschaft verschuldet sich immer mehr und die Spekulanten arbeiten mit immer mehr Kredit, um auch in einem Umfeld von Tiefst- und Nullzinsen einen guten Ertrag zu erwirtschaften.
Überall passiert dasselbe: Wir ersetzen Eigen- durch Fremdkapital, um so die Renditen zu steigern. Voraussetzung sind nicht nur tiefe Zinsen, sondern vielmehr Zinsen, die im Trend weiter sinken! Vor jeder Krise an den Finanzmärkten in den letzten 30 Jahren – Crash 1987, Sparkassenkrise in den USA, Blase in Japan, Krise in Südamerika, Asienkrise, Dotcom-Blase, Finanzkrise – kam es vor dem Einbruch zu einem Anstieg der Zinsen.
Allerdings kam der Einbruch immer früher. Das kann nicht verwundern, ist doch die immer höhere Verschuldung nur mit immer tieferen Zinsen tragbar. Schon vor Jahren warnte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, dass wir Gefangene der Verschuldung sind. Tiefe Zinsen heute regen die Verschuldung weiter an, weshalb wir morgen noch tiefere Zinsen brauchen, um die Last überhaupt tragen zu können. Präziser: um weiterhin die Illusion aufrechtzuerhalten, die Schulden zu bedienen.
Nun könnte es wieder so weit kommen: Der drei Monats-US-Dollar-LIBOR, also die Rate zu dem sich Banken gegenseitig US-Dollar für drei Monate leihen, ist in den letzten zwölf Monaten dramatisch gestiegen: von 0,4 Prozent auf über 2,3 Prozent in der letzten Woche. Dieser Satz betrifft nach Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich immerhin fünf Billionen US-Dollar-Kredite weltweit, die einen variablen Zins vereinbart haben. Indirekt dürfte es noch mehr Kredite betreffen.
Damit kommen Schuldner auf allen Ebenen unter Druck. Die verschuldeten Unternehmen haben höhere Finanzierungskosten, Studentendarlehen und Autokredite werden teurer und entziehen den Konsumenten Kaufkraft, die Spekulation auf Kredit wird unattraktiv. Es ist das Szenario, wo es sich lohnt, am schnellsten zu laufen. Hochgeleveragte Märkte fallen nicht graduell und geordnet, sondern brutal und schnell.
Das passt auch zu der sich andeutenden Inversion der Zinskurve in den USA. Die kurzfristigen Zinsen steigen – auch mit Blick auf die Politik der US-Notenbank Fed –, während die langfristigen Zinsen sogar rückläufig sind. Die Märkte glauben nicht an Inflation und Boom, sondern bereiten sich eher auf eine Rezession vor. Konsistent wäre dann allerdings, dass die Anleihen der hoch verschuldeten Unternehmen unter Druck kommen. Das ist bisher nur vereinzelt der Fall.
Technologiewerte weisen den Weg
Die Performance der US-Börse in den letzten zwölf Monaten wurde von den Technologiewerten bestimmt. Der NYSE FANG+ Index, der neben den bekannten amerikanischen Namen Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Google, Tesla, Twitter und Nvidia auch die chinesischen Internetgiganten Alibaba und Baidu beinhaltet, hat alleine seit Jahresanfang beeindruckende 25 Prozent zugelegt. Dahinter steht die nicht unberechtigte Erwartung, dass es diese Unternehmen sind, die mit Wachstum und Ertragskraft herausragen und ganze Industrien erobern. Neue Märkte entstehen, in denen gilt „The Winner takes it all“ und diese Gewinner scheinen festzustehen.
Dabei kamen die Geschäftsmodelle der Unternehmen schon vor dem Datenskandal bei Facebook zunehmend unter Druck. Die Kritik fokussiert sich auf die Behinderung von Wettbewerb: Die Unternehmen haben eine sehr starke Marktposition, die es Wettbewerbern faktisch unmöglich macht, gegen die etablierten Spieler zu bestehen. Dies liegt an den Größeneffekten (die zu entsprechenden Kostenvorteilen führen), den Netzwerkeffekten (je mehr Leute dabei sind, desto größer ist der Nutzen, weshalb sich alles bei einem Anbieter konzentriert) und der schieren Menge an Daten, die die Unternehmen sammeln.
Dies macht „big tech a huge economic problem„, meint sogar die durch und durch wirtschaftsfreundliche Financial Times! Die Unternehmen erwirtschaften Überrenditen, von denen die Märkte glaubten, sie hätten ewig Bestand. Preise und Service wären – wie bei derartigen Monopolen üblich – schlecht und die Unternehmen würden überhöhte Preise für Werbung nehmen, während sie gleichzeitig für die Daten, die sie nutzen, nichts bezahlen müssen.
Die Steuerpraxis der Konzerne wird im Zuge der weiteren Verschärfung des Handelskonfliktes zwischen den USA und dem Rest der Welt (zu Recht) mehr in den Fokus der Regierungen geraten. Damit wächst das Risiko einer deutlich höheren Besteuerung künftiger Gewinne. So sehr das aus Sicht der Steuergerechtigkeit freut, so bedauerlich ist es für die Aktionäre. Höhere Steuern verkleinern den Kuchen.
So verwundert es nicht, dass die Stimmung kippt. Da einige der Unternehmen zudem mit erheblichen Vorschusslorbeeren gehandelt werden (ich denke vor allem an Tesla, Netflix und Twitter), ist die Gefahr eines deutlichen Einbruchs nicht von der Hand zu weisen. Hinzu kommt, dass der NASDAQ-Index am Ende von Börsenaufschwüngen als Letzter dreht. Das war schon im Jahr 2000 so, als der NASDAQ neue Höchststände erreichte, nachdem DOW und S&P 500 schon in die Baisse gedreht hatten. Ähnlich war es 2008. Auch heute suchen die Investoren Sicherheit in der guten Ertragskraft des Sektors und dem anhaltenden Momentum der Aktien. Deshalb ist die relative Stärke des NASDAQ in den letzten Monaten eher ein Warnsignal als ein Grund zur Erleichterung.
Aktien können auch trotz guter Gewinne fallen, besonders wenn sie zuvor, getragen von überbordender Zentralbankliquidität, weit über das fundamental gerechtfertigte Niveau gestiegen sind. Wenn man zu hoch fliegt, ist der Grund für den Absturz irrelevant. Die Börse sucht nur einen Anlass, um einzubrechen, so nichtig dieser auch sein mag. Ist Schluss mit den FANGs, ist Schluss mit dem Bullenmarkt.
Notenbanken am Ende?
Bisher waren es immer die Notenbanken, die dem System Zeit gekauft haben. Immer tiefer sanken die Zinsen, immer aggressiver wurden die Maßnahmen. So tief waren die Zinsen vor der nächsten Rezession noch nie. Hat die Fed die kurzfristigen Zinsen etwas nach oben gebracht – oder die Märkte haben es für sie erledigt – bleibt die EZB gefangen in der Rolle des Euro-Retters um jeden Preis. Daran dürfte auch die sich abzeichnende Verpfändung der deutschen Steuergelder für das europäische Projekt durch die neue Regierung nichts ändern.
Die Lage für die Notenbanken ist wenig attraktiv:
- Sie haben es mit einer Rekordbewertung der Assetmärkte zu tun, getrieben von tiefen Zinsen und Rekord-Leverage. Die Börsen dürften relativ zum BIP nicht nur in den USA den höchsten Stand der Geschichte erreicht haben, sondern auch weltweit.
- Sie haben es mit einer Rekordverschuldung der Realwirtschaft zu tun. Konsumenten und Unternehmen haben weltweit immer noch Rekordschulden. In einigen Ländern ist die Verschuldung gar weiter gestiegen wie beispielsweise bei US-Unternehmen.
- Sie befinden sich in einem Währungskrieg miteinander. Zurzeit haben die USA die Nase vorn und schaffen eine Abwertung der eigenen Währung. Japan, China aber auch die Eurozone spüren schon jetzt die Folgen der Dollarschwäche und es setzt sie unter Druck, noch mehr zu tun, um die eigene Währung wieder zu schwächen.
- Sie stecken im Dilemma, Inflation nicht zulassen zu dürfen, sie eigentlich aber anzustreben, um die Schulden real zu entwerten und zugleich schwer erzeugen zu können.
- Sie haben den Zinssteigerungstendenzen gerade in den USA wenig entgegenzusetzen, wissen aber, dass es eine überschuldete Weltwirtschaft und ein auf Leverage gebautes Kartenhaus schlecht verkraften, wenn die Zinsen steigen.
- Sie haben es mit einer weitgehend dysfunktionalen Politik zu tun. In den USA werden am Höhepunkt des Aufschwungs Steuersenkungen und Infrastrukturprogramme auf Kredit beschlossen und zugleich ein globaler Handelskrieg vom Zaun gebrochen. In Europa veranstaltet die EU eine Strafaktion gegen Großbritannien, um andere Länder von ähnlichen Ausstiegsüberlegungen abzuhalten und verschleppt zugleich eine wirkliche Lösung der Eurokrise, was auch daran liegt, dass man sich mit Scheinlösungen beschäftigt.
Die Notenbanken sind nicht unschuldig an dieser Situation. Sie ist die Folge von einer Politik, die dreißig Jahre einseitig daraufgesetzt hat, die Verschuldung nach oben zu treiben. Doch nun droht das Ende dieser Entwicklung und damit auch das (erneute) Ende einer „This time it‘s different“-Euphorie.
Es ist höchste Zeit, dass sie sich endlich eingestehen, dass sie mit ihrer Politik kläglich gescheitert sind: Seit Jahren outperformen die Assets, die eher von Deflation profitieren, dabei wollen die Notenbanken doch offiziell die Inflationsrate nach oben treiben. Seit Jahren bekämpfen sie Krisen, die aus zu hoher Verschuldung resultieren mit der Erleichterung weiterer Schuldenaufnahme. Seit Jahren befördern sie damit die schleichende „Zombifizierung“ unserer Wirtschaft, was zu immer geringeren Wachstumsraten führt und damit die Schuldenprobleme weiter verschärft.
Dies wird Draghi und Co. nicht daran hindern, erneut in den geldpolitischen Giftschrank zu greifen. Allerdings erst, nachdem es so deutlich brennt, dass die Notenbanker eine gute Begründung haben, die Geldschleusen wie noch nie zuvor zu öffnen. Also erst dann, wenn die Börsen deutlich tiefer stehen und die Kernschmelze an den Märkten droht. Wohl dem, der heute Risiken abbaut und das Pulver trocken hält. Denn dann ist Zeit zu kaufen. Nicht heute.
→ manager-magazin.de: „Warum Sie jetzt Ihr Aktien-Risiko abbauen sollten“, 11. April 2018
→ wallstreet-online.de: „Warum Sie jetzt Ihr Aktien-Risiko abbauen sollten“, 19. April 2018
Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com