Das Wahl­recht — Es wird Zeit für eine Erneuerung!

Das aktive Wahl­recht gilt als zen­trales “Hei­ligtum” in unserer säku­la­ri­sierten Welt und es wird von vielen Men­schen des­wegen als sakro­sankt betrachtet. Wer es in Frage stellt, gerät schnell in den Ver­dacht, höchstens ein Repu­bli­kaner, aber kei­nes­falls ein Demokrat zu sein. Daher scheuen sich nicht nur die meisten Poli­tiker, sondern auch viele Intel­lek­tuelle, den Status quo des Wahl­rechts zu hinterfragen.
Dabei ist es gerade beim Wahl­recht in unserer immer kom­plexer und glo­ba­li­sierter wer­denden Welt not­wen­diger denn je, eine Eva­luation des­selben zu ver­suchen und neue Formen und Anpas­sungen zu über­legen. Und, notabene, nicht um die Demo­kratie und die Frei­heiten des Bürgers zu schwächen, sondern um diese zu stärken.
One man, one vote
Das in den meisten west­lichen Nationen gelebte Prinzip One-man-One-Vote ist zwar alt, aber im Ursprungsland der Demo­kratie gar nicht bekannt gewesen: In der viel­be­sun­genen Wiege der Volks­herr­schaft (nämlich in der antiken grie­chisch-atti­schen Demo­kratie) gab es unter­schiedlich gewichtete Stimm­rechte und eine ganze Menge Men­schen, die bei den poli­ti­schen Ent­schei­dungen gar nicht mit­stimmen durften. Die his­to­ri­schen Details wie­der­zu­geben würden hier den Rahmen sprengen, jeder kann das ohnehin im Internet nach­lesen. Aber es ist wichtig zu wissen, dass gerade die Demo­kratie in ihrer Urform von einem ganz anderen Ver­ständnis als dem heu­tigen getragen wurde.  Über die Zeit­läufte war dieses Ver­ständnis immer auch den ver­schie­densten Ände­rungen unterworfen.
Alles fließt
So ist das ver­fas­sungs­mäßig garan­tierte Wahl­recht in seiner heu­tigen Form weder in Stein gemeisselt noch ist es eine unver­än­der­liche Natur­gewalt. Auch wenn es stets reflex­artige und daher nicht durch­dachte Pro­teste gibt, wenn man das Wahl­recht sub­stan­ziell hin­ter­fragt, muss die Über­legung möglich sein, ob dieses Recht nicht ver­ändert werden sollte. Was spricht dagegen, unser Wahl­recht  an die jeweils bestehenden Pflichten des Wählers gegenüber der Gesell­schaft anzu­passen? Warum soll bei­spiels­weise jemand, der für das Land, in dem er lebt, kaum etwas geleistet hat, das­selbe Wahl­recht haben wie ein anderer, der durch seine fleißige Arbeits­leistung jahr­zehn­telang erkleck­liche Steuern abliefert und für das Funk­tio­nieren und den Erhalt der Gesell­schaft sorgt? Und warum sollte man das Wahl­recht  nicht auch mit der jewei­ligen intel­lek­tu­ellen Kom­petenz des Wählers/Bürgers abgleichen?
Die Mehr­leister sollen mehr Stimm­ge­wicht haben
Zwei­fellos trägt jemand, der sehr viel Steuern und Bei­träge zahlt, zur Finan­zierung und zur Auf­recht­erhaltung des Gemein­wesens mehr bei als jemand, der staatlich ali­men­tiert wird und nicht arbeitet. Das ist eine tri­viale Wahrheit. Die Situation, dass der Ali­men­tierte bei Wahlen völlig gleich­be­rechtigt über seine Unter­stützer bestimmt, ist letztlich unfair und nicht bis zu Ende gedacht, auch wenn das “all­ge­meine und gleiche Wahl­recht” wun­derbar men­schen­würdig und sozial gerecht klingen mag. Im Grunde stärkt es in seiner jet­zigen Form ten­den­ziell immer die an der Umver­teilung inter­es­sierten Par­teien und deren Anhänger. Das “gleiche Wahl­recht” erzeugt daher eine prin­zi­pielle gesell­schaft­liche Schieflage, weil es im Kern nicht “gleich” ist, sondern eine Bevor­zugung der schlechter Weg­ge­kom­menen darstellt.
Das Punkte-Wahl­recht
Um die Situation zu opti­mieren, wäre für Wahlen ein Punkte-Wahl­recht vor­stellbar, das abhängig von der Steu­er­klasse und der Bemes­sungs­grundlage adjus­tiert wird. Wer in der höchsten Steu­er­stufe ist, bekommt die meisten Stimm­punkte. Wer keine Steuern zahlt, bekommt den Basis­punkt. Bei den aktuell 7 Lohn­steu­er­klassen könnte man eine Basis­klasse schaffen und dann je zwei Steu­er­klassen zusam­men­fassen. Wir hätten dann abhängig von der jähr­lichen Steu­er­leistung fol­gende Stimm­punkte pro Bürger:

  • Keine Lohn­steu­er­leistung: 1 Punkt
  • Ein­kommen bis 31.000.- Euro: 2 Punkte
  • Ein­kommen bis 90.000.- Euro: 3 Punkte
  • Ein­kommen ab 90.000.- Euro: 4 Punkte

Die Idee des Punkte-Wahl­rechts kann man gleich weiter ent­wi­ckeln: So wie es ein gewich­tetes Stimm­recht geben sollte, müsste auch die Mög­lichkeit bestehen, in der Wahl­zelle nicht nur ein Kreuzerl, sondern Direkt-Punkte zu ver­geben — und zwar Plus- und Minus­punkte. Man muss beim Punk­te­wahl­recht nicht zwi­schen Ja und Nein unter­scheiden, sonder kann ein dif­fe­ren­ziertes Bild abgeben und alle antre­tenden Listen und Kan­di­daten bewerten. Eine Band­breite zwi­schen ‑2 und +2 Punkten wäre dafür sinnvoll. Konkret könnte das bei einer Wahl dann bei­spiels­weise so aussehen:

  • Kan­didat A: +2
  • Partei B: ‑2
  • Kan­didat C: 0
  • Partei D: +1

Natürlich klingt das auf den ersten Blick auf­wendig und kom­pli­ziert. Aber es besteht ja kein Zweifel daran, dass in nicht allzu ferner Zukunft das e‑voting kommen wird. Wir werden dann Wahl­zellen haben, in denen man elek­tro­nisch abstimmen kann oder wir können die Wahl über­haupt per Handy oder vom PC zu Hause aus durch­führen. Und da ist es tech­nisch ein Klacks, das Punk­te­system ein­zu­führen. Vor­aus­setzung ist natürlich die Daten­si­cherheit, aber auch das wird lösbar sein.
Die einzige Aus­nahme im Punk­te­wahl­recht wäre die Bun­des­prä­si­den­tenwahl. Hier belässt man alles, wie es ist: One Man, One Vote, Direktwahl, jeder Bürger hat eine Stimme mit dem­selben Gewicht. Warum: Der Prä­sident ist die Sym­bol­figur der Nation und er hat kein spe­zi­elles poli­ti­sches Pro­gramm, über das man abstimmen kann.
Dif­fe­ren­zierte Wahl­rechts­systeme stellen an den Wähler natürlich auch höhere Anfor­de­rungen als das simple Ja/Nein-Wählen, das wir jetzt haben und das nur den Spielraum zwi­schen dem Kreuzerl, ungültig wählen oder gar nicht wählen offen lässt. Freilich ist in einer dif­fe­ren­zierten Wahl­rechts­si­tuation auch zu fordern, dass jeder Wahl­be­rech­tigte seine Wähler-Kom­petenz unter Beweis stellt — das ist sogar die Grund­vor­aus­setzung, um eine bessere und effi­zi­entere Politik zu generieren.
Der Wähler-Füh­rer­schein
Ein “Wähler-Füh­rer­schein” ist dafür ideal. Jede Person, die das wahl­fähige Alter erreicht, muss, wenn sie wählen gehen will, eine Prüfung absol­vieren, in der die wich­tigsten demo­kra­tie­po­li­ti­schen Eck­daten abge­fragt werden. Eine Wahl­fä­hig­keits-Prüfung muss natürlich kein Meis­ter­prü­fungs- oder Matura-Niveau haben, aber sie sollte z.B fol­gende grund­le­gende Fragen beinhalten:

  • Wie viele Par­teien sind derzeit im Par­lament vertreten?
  • Welche Partei ist in der Regierung?
  • Wie heisst der Bun­des­kanzler und welcher Partei gehört er an?
  • Wie viele Abge­ordnete gibt es?

Auch für die Teil­nahme an direkt­de­mo­kra­ti­schen Ver­fahren wie Volks­be­fra­gungen und Volks­ab­stim­mungen sind die Vor­aus­set­zungen der Wahl­fä­higkeit zu beweisen.  Mün­digen Men­schen ist es zumutbar, die grund­le­genden Daten unseres Staates zu wissen. Es ist sogar eine Wert­schätzung dem Wähler gegenüber, wenn man ihn sein Wissen offi­ziell beweisen lässt und dies amtlich bestätigt.
Wahl­recht nur für Staatsbürger
Eine zen­trale Bedingung des Wahl­rechtes ist es, dass dieses Recht aus­schließlich Staats­bürgern vor­be­halten bleibt. Eine Demo­kratie kann nur funk­tio­nieren, wenn es eine defi­nierte Anzahl von Wählern gibt. Jedes “Open-Society”- und “No Borders”-Konzept ist in Wirk­lichkeit eine anti­de­mo­kra­tische Maß­nahme, da bei einer Öffnung der Grenzen und bei einem unge­fil­terten Zuspruch des Wahl­rechts an Migranten die regu­lie­renden Fun­da­mente des Staates sofort weg­brechen. Regellose Fluk­tua­tionen von Wählern machen trag­fähige Staats­ord­nungen unmöglich und sie machen Politik völlig unbe­re­chenbar. Wenn man so will, ist jede Nation eine Art Klub, der klare und strenge Haus­ord­nungen vorgibt und nicht jeden Bei­tritts­wil­ligen einfach so auf­nehmen kann. Klubs, die das tun, gehen chao­tisch zugrunde.
Das Kin­der­wahl­recht muss her
Man ist zwar erst mit 18 Jahren erwachsen und damit voll rechts­fähig, aber man darf schon mit 16 wählen. Das ist per se dis­kus­si­ons­würdig. Jeden­falls ist man aber als Kind bzw. Jugend­licher vor dem 16. Lebensjahr ohne wahl­recht­liche Inter­es­sens­ver­tretung. Das Wahl­recht ist für Kinder auch mit­telbar nicht ver­fügbar, weil es vom Gesetz­geber ganz einfach nicht vor­ge­sehen ist — obwohl die meisten hier lebenden Kinder öster­rei­chische Staats­bürger sind und Staats­bürger als Eltern haben.
Diese Situation ist nicht schlüssig argu­men­tierbar: Kinder haben Inter­essen und deren Familien haben diese erst recht. Und die Eltern wie auch die Gesell­schaft haben Pflichten gegenüber den Kindern. Die Kinder und deren Familien müssen daher gestärkt werden. Das hat nicht nur demo­kra­tie­po­li­tische, sondern auch ganz profane Gründe: Die Kinder werden eines Tages erwachsen und sie müssen dann die Folgen der heu­tigen poli­ti­schen Ent­schei­dungen, die zunehmend von Kin­der­losen(!) getroffen werden, ertragen und aus­baden. Das ist nicht fair und gegen jedes Nachhaltigkeitsprinzip.
Die Ein­führung des Kin­der­wahl­rechts ginge übrigens ganz einfach: Jede Kin­der­stimme wird gesplittet, die halbe für den Vater, die andere Hälfte für die Mutter. Die Eltern ver­teilen die Stimme (bzw. Punkte, siehe oben). Eltern haben generell die Ver­ant­wortung für ihre Kinder, warum sollten sie also nicht auch für sie wählen? Gültig wird so ein Kin­der­wahl­recht aus nahe­lie­genden Gründen erst, wenn die Mutter min­destens 20 Jahre öster­rei­chische Staats­bür­gerin ist.
Das Thema muss in die Politik
Das aktive Wahl­recht wird wie ein säku­lares Sakrament behandelt und es gilt als Tabu, es in Frage zu stellen. Wer in der poli­ti­schen Debatte auf intel­lek­tuelle Red­lichkeit Wert legt, sollte sich aber dem Thema stellen und es weiter ver­folgen. Und wer die Demo­kratie und die nationale Sou­ve­rä­nität auch in den Zeiten der Glo­ba­li­sierung behalten will, muss die Wahl­rechts­frage sogar prio­ritär behandeln.


Von Dr. Marcus Franz, Arzt und Mit­glied zum öster­rei­chi­schen Natio­nalrat — www.thedailyfranz.at