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Trübe Aus­sichten: Was Neu­wahlen wirklich bringen würden

Die Son­die­rungs­ge­spräche für eine Jamaika-Koalition sollen in den nächsten Tagen beendet werden. Die FDP-Spitze sieht die Chancen für ein Gelingen bei 50:50. Was wenn Jamaika scheitert? Doch wieder eine GroKo, dann aber ohne Merkel, eine Min­der­hei­ten­re­gierung oder Neu­wahlen? Was würde sich dadurch ändern? Eine Analyse.

Jamaika kommt kaum voran

Mehr als sieben Wochen sind seit der Bun­des­tagswahl ver­gangen. Noch immer befinden sich CDU, CSU, FDP und DIE GRÜNEN in Son­die­rungs­ge­sprächen, ob sie über­haupt bereit sind, gemeinsam in Koali­ti­ons­ver­hand­lungen ein­zu­treten. Seit mehr als sieben Wochen wird unser Land kom­mis­sa­risch regiert und ein Ende dieser Phase ist noch nicht absehbar. Andrea Nahles (SPD) ist sogar schon vor Wochen aus dem Kabinett aus­ge­schieden, um als neue Frak­ti­ons­vor­sit­zende der ‚Sozi­al­de­mo­kraten‘ dem Noch-Koa­li­tons­partner besser „in die Fresse“ geben zu können, wie sie selbst so ’schön‘ formulierte.

In den nächsten Tagen wollen die vier poten­tiell neuen Partner nun endlich zu einem Ergebnis kommen, ob sie gewillt sind, eine neue Regie­rungs­ko­alition zu bilden und in ent­spre­chende Koali­ti­ons­ver­hand­lungen ein­zu­treten oder nicht. Die beiden FDP-Oberen Christian Lindner und Wolfgang Kubicki schätzen die Chancen, dass es zu einer Jamaika-Koalition kommen wird, auf 50:50 ein. Ich selbst würde die Jamaika-Aus­sichten eher bei 60:40, wenn nicht 70:30 oder gar 80:20 sehen, aber sicher ist es kei­neswegs, dass dieses neue Bündnis zustande kommen wird. Welche Alter­na­tiven gäbe es?

Rea­lis­tische Mög­lich­keiten, wie es wei­ter­gehen könnte

Wirklich rea­lis­tisch sind nur vier Varianten:

  1. Jamaika: Die vier höchst ungleichen Par­teien schaffen es jetzt endlich, sich zu einigen und eine ent­spre­chende Regierung zu bilden: am wahrscheinlichsten.
  2. GroKo: Jamaika scheitert, Merkel tritt zurück und die SPD ist unter dieser Prä­misse dann doch bereit, in eine weitere große Koalition ein­zu­treten. Thomas Oppermann hatte sich Ende Sep­tember mal in diese Richtung geäußert. Gleichwohl ist dies recht unwahr­scheinlich, weil die SPD sich im Grunde fest­gelegt hat. Sie will nicht mehr mit CDU/CSU.
  3. Min­der­hei­ten­re­gierung ohne Merkel: Die AfD hat die letzten Tage ver­lauten lassen, sie würde eine CDU/CSU-FDP-Min­der­hei­ten­re­gierung tole­rieren. Der Vorteil: DIE GRÜNEN wären nicht in der Regierung. Ist aber noch unwahr­schein­licher als (2). Min­der­hei­ten­re­gie­rungen sind den han­delnden Akteuren zu unsicher. Union und FDP wären dann bis­weilen von der AfD abhängig. Das wollen sie derzeit nicht.
  4. Neu­wahlen: Sollten die Son­die­rungs­ge­spräche oder die anschlie­ßenden Koali­ti­ons­ver­hand­lungen scheitern, könnte es zu vor­ge­zo­genen Neu­wahlen kommen. Dies dürfte nach (1) am wahr­schein­lichsten sein. Doch wer wären die Gewinner, wer die Ver­lierer bei Neu­wahlen? Vor allem aber: Was würde sich dadurch ändern?

Gewinner und Ver­lierer, wenn es zu Neu­wahlen kommen sollte

Sollte es in den nächsten Wochen oder Monaten zu vor­ge­zo­genen Neu­wahlen kommen, so könnten die Par­teien nach der­zei­tigem Stand in etwa mit fol­genden Werten rechnen (Pro­gnose von Wahl-O-Matrix, Deutsch­lands füh­rendem Meta-Analyse-Tool):

  1. CDU/CSU: 30 %
  2. SPD: 21 %
  3. AfD: 13,5 %
  4. FDP: 11 %
  5. GRÜNE: 10 %
  6. LINKE: 9,5 %
  7. Sonstige: 5 %

2017-11-13

Inter­es­santer sind aber die Gewinne und Ver­luste gegenüber der Wahl am 24. September:

  1. GRÜNE: + 1,1 %
  2. AfD: + 0,9 %
  3. SPD: + 0,5 %
  4. FDP: + 0,3 %
  5. LINKE: + 0,3 %
  6. Sonstige: +/- 0
  7. CDU/CSU: – 2,9 %

2017-11-13-G-V

Der große Ver­lierer bei Neu­wahlen wären also die beiden Uni­ons­par­teien. Alle anderen könnten sich nach der­zei­tigem Stand wohl ein klein wenig ver­bessern, vor allem DIE GRÜNEN und die AfD. Damit stellt sich die Schlüs­sel­frage: Was würde das in Bezug auf die Regie­rungs­bildung ändern?

Koali­ti­ons­mög­lich­keiten nach einer Neuwahl

Bei solch einem sehr wahr­schein­lichen Ergebnis (plus-minus jeweils ein oder zwei Pro­zent­punkte) gäbe es fol­gende Mög­lich­keiten für eine Regierungskoalition:

  1. Jamaika: 51 %
  2. GroKo: 51 %
  3. Ampel (SPD + FDP + GRÜNE): 42 %
  4. Schwarz-Gelb: 41 %
  5. Rot-Rot-Grün: 40,5 %
  6. Rot-Grün: 31 %

Sie sehen also, die Par­teien stünden vor der gleichen Aufgabe wie jetzt auch, ent­weder eine Jamaika- oder eine große Koalition zu bilden, die aber beide noch schwächer wären als jetzt schon. Jamaika würde von derzeit 52,5 auf 51 Prozent zurück­fallen, die GroKo von 53,4 auf 51 Prozent. Der ganz große Ver­lierer wäre, wie bereits erwähnt, die Union.

Diese Aus­gangs­si­tuation, die vor allem der starken AfD zu ver­danken ist – Stichwort: AfD wirkt und regiert das Land längst schon mit -, schwächt auch die Ver­hand­lungs­po­sition der CDU in den der­zei­tigen Son­die­rungs­ge­sprächen und den mög­lichen anschlie­ßenden Koali­ti­ons­ver­hand­lungen ungemein. Die CDU wird im Zwei­felsfall jedes Zuge­ständnis machen an die kleinen Par­teien. Jedes! Das aber wird die völlige Pro­fil­lo­sigkeit der CDU, die ohnehin weit­gehend ein­ge­treten ist, nochmals auf die Spitze treiben. Und das wird wie­derum lang­fristige Kon­se­quenzen haben für die CDU.

Kein Ent­rinnen aus der selbst fabri­zierten Falle

Merkel hat die CDU im Grunde kaputt gemacht und See­hofer, der sich Merkel immer nur verbal wider­setzte, ohne dass dies je wirklich mar­kante, kon­krete Folgen gehabt hätte, die CSU. Wenn es Merkel nicht gelingen sollte, Jamaika zustande zu bringen, so ist sie im Grunde als Par­tei­vor­sit­zende und Kanz­ler­kan­di­datin nicht mehr tragbar. Denn sie hat dann gleich doppelt versagt: zuerst bei der Bun­des­tagswahl, dann bei der nicht gelun­genen Regie­rungs­bildung. Ihre Zeit ist ohnehin abge­laufen, dies wäre dann aber für fast alle über­deutlich sichtbar.

Mit einem neuen Kan­di­daten in Neu­wahlen zu gehen, wäre aber eben­falls ein mehr als schwie­riges Unter­fangen für die CDU. Denn wie sollte er sich pro­fi­lieren in der kurzen Zeit? In Frage käme Jens Spahn, der viel­leicht größte Hoff­nungs­träger in der CDU. Dies ist für ihn jedoch nicht der richtige Zeit­punkt. Spahn müsste erst noch ent­spre­chend auf­gebaut werden, was Jahre in Anspruch nehmen wird. Von der Leyen ist höchst unbe­liebt in der Bevöl­kerung. Mit ihr würde die Union wahr­scheinlich unter 30 Prozent fallen. Am ehesten käme Schäuble in Frage, der schon lange Kanzler in War­te­stellung ist. Schäuble hätte zwar das Zeug zum Kanzler, nur: Wer sollte wegen Schäuble die CDU wählen, der es bei Merkel nicht getan hat? Mit ihm würde die Union viel­leicht nicht unter 30 Prozent fallen, aber neue Stimmen zu holen, dürfte mit Schäuble kaum möglich sein.

Merkel hat die Union wie einst Schröder die SPD auf lange Sicht schwer beschädigt

Hinzu kommt, dass ein Aus­tau­schen von Merkel ein Ein­ge­ständnis wäre, wie viel die CDU die letzten Jahre falsch gemacht hat. Die Partei hat aber den desas­trösen Mer­kelkurs all die Jahre mit­ge­tragen. Sich jetzt schlag­artig davon abzu­grenzen, dürfte kaum möglich sein. Die Glaub­wür­digkeit wäre völlig dahin.

Im Grunde könnte es der Merkel-CDU nun ähnlich gehen wie der SPD nach Schröder. Von diesem hat sich die SPD nie wieder erholt, weil die typi­schen SPD-Wahler den Kurs der zweiten Schröder-Regierung von 2002 bis 2005 als Verrat ange­sehen haben. Heute dümpelt die SPD bei ca. 20 Prozent herum.

Ende 2003, zwei Jahre vor Merkels Kanz­ler­schaft, stand die Union noch bei 50 Prozent, heute bei Infratest dimap (ARD) und Emnid (Bild am Sonntag) bei 30. Die CDU alleine, ohne die CSU kommt sogar nur noch auf ca. 24 Prozent. Und sie muss befürchten, dass es mittel- und lang­fristig noch weiter nach unten gehen wird. Merkel hat die Partei ent­kernt, ent­seelt und der voll­kom­menen Belie­bigkeit anheim gegeben. Ob sie sich davon jemals erholen wird, ist fraglich.

 

Bilder: © Eigene Gra­fiken (Wahl-O-Matrix, Jürgen Fritz) sowie Youtube-Screenshot von Bun­des­prä­sident Stein­meier (SPD), der den Bun­destag nach Art. 63 GG auf­lösen kann, wenn keine Mehrheit einen Kanzler wählt, so dass es dann zu Neu­wahlen kommt.

Jürgen Fritz / juergenfritz.com